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Archiv-Artikel

ein neues wort für freund birnbaum von JAN ULRICH

Mein Freund Birnbaum und ich arbeiten im „Ministerium für Aufgaben und Angelegenheiten“. „Heute erfinden wir ein neues Wort für ‚Wort‘“, erklärt mein Freund Birnbaum und beruft eine große Konferenz ein.

Kaum sind wir zusammengekommen, meldet sich auch schon Herr Riegel aus der Registratur: „Wort heißt ab jetzt ‚Im allgemeinen Sprachgebrauch bekannte Buchstaben- und Lautkombination‘.“ – „Viel zu lang“, korrigiert sofort Oberamtsrat Bruch, „es reicht vollkommen, wenn man ‚Bezeichnung‘ sagt.“ – „Wie wär’s mit ‚Egal, was es ist, wir machen es aktenkundig‘“, schlägt nun der alte und erfahrene Amtsrat Mulmig vor. Gerade will auch Herr Riegel noch etwas einwerfen, als Freund Birnbaum die drei Wortführer stracks unterbricht: „Mehr Inhalt, weniger Form, bitte.“

„Gedanke! Idee!“, schallt es sofort aus der Ecke der Verwaltungsangestellten. „Das habe ich schon oft gehört“, bescheidet Freund Birnbaum: „Wem nichts mehr einfällt, der wiederholt sich.“ Dann streicht er die beiden Wörter wieder von der Liste. „Dafür habe ich nun Abitur gemacht“, brummt Dezernent Schmeling beleidigt. Doch Birnbaum zeigt sich unerbittlich: „Was man auf den ersten Blick erkennt, sieht man meist nicht zum ersten Mal!“

„Mann im Meer“, schlägt jetzt Bürobote Milde vor, weil er dabei an seine Kindheit denken muss, als er seinen Vater nur aus der Ferne kannte. Und Praktikantin Janine fährt gedankenverloren fort: „Der neue Mann meiner Mutter sieht aus wie ein Clown. Wenn er mir die Tür öffnet, läuft er gegen den Spiegel und ruft: ‚Hoppla!‘.“

„Was man fühlt, sprechen, nicht, was man sollte, sagen“, unterstützt sie Kollegin Vogelscheuch. „Die Liebe ist mehr als eins!“ Und als keiner so recht reagieren will, bekennt sie: „Ich bin jung und suche Bedeutung.“

„Wer schweigt, wird leider oft nicht gehört“, äußert sich jetzt Buchhalter Lehmann, der die Kollegin Vogelscheuch schon länger angeschaut und noch nichts gesagt hat. Alle nicken zustimmend. „Jeder lebt für sich allein“, fährt Lehmann fort, während sich die anderen schon wieder abwenden. „Nur die Literatur ist dein Freund.“ – „Nu na, nu na“, kommt es beschwichtigend von den Konferenzteilnehmern, die sich bei ihrer wichtigen Diskussion gestört fühlen. Und als sie sich wieder ihrem Hauptthema zuwenden wollen, sagt Lehmann noch: „Du bekommst nicht alles, was du dir versprichst.“ Aber keiner hört mehr zu. Nur Kollegin Vogelscheuch lächelt wehmütig.

„Ich hab’s!“, verkündet nun Oberamtsrat Bruch: „‚Wort‘ heißt ab jetzt ‚Fest zu Ehren des Gottes Terminus‘.“ – „Anfang und Ende, Freiheit, Schmerz, Liebe und Tod“, entgegnet ungewöhnlich entschieden Bürobote Milde. „Hm, tja, je nun …“, empfiehlt schließlich Ministerialrat Ventzke, „das ist zwar nicht besonders präzise, dafür aber leicht zu merken.“ Da ihm aber keiner zustimmen will, fügt er hinzu: „Ich habe viel gehört und wenig verstanden. Und so verläuft mein ganzes Leben.“

Für einen Moment rufen alle durcheinander, bis Birnbaum sie unterbricht. „Ein Wort ist Anfang, aber niemals das Ziel“, resümiert er. „Wir suchen alle und sind doch verloren. Was bleibt, sind Sehnsucht und Verlangen.“ Dann beschließt er die Sitzung.