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Archiv-Artikel

Unter nackten Zivilsoldatinnen

FRONT Femen, die ukrainische Aktivistinnengruppe, demonstriert mit nackten Brüsten. Auch hierzulande

„Wir sind härter als andere feministische Bewegungen“

EINE FEMEN-AKTIVISTIN

VON IRINA SERDYUK

Schau, der Pfannkuchen sieht aus wie Pussy Riot. Du isst eine Pussy Riot!“ Vergnügtes Gekichere. Halb nackt steht Klara vor dem Herd, verteilt Pfannkuchen, gießt Kaffee nach. „Fuck off Nazis“ steht auf ihrer Brust. Klara ist eine Aktivistin in Berlin, die sich von den Protestmethoden der ukrainischen Frauengruppe Femen inspirieren lässt und die, wie alle anderen auch, nur mit Vornamen im Text auftauchen will. In diesen Wochen sind die Ukrainerinnen in Berlin – sie arbeiten am Export ihres Protests. Angefangen haben die Femen vor fünf Jahren, als sie in Kiew mit nacktem Oberkörper gegen Gewalt gegen Frauen demonstrierten. Auf ihre Brüste sind die Parolen geschrieben.

„Los, Mädels, beeilt euch, wir müssen uns noch ein paar Hosenträger besorgen!“, sagt eine. „Die einzige Angst, die ich habe, ist, dass wir das nicht schaffen, was wir uns vorgenommen haben“, sagt eine andere, Alexandra soll sie hier heißen. Dabei wird auf ihren nackten Rücken ein fettes, schwarzes Hakenkreuz gepinselt, rot durchgestrichen. „Ups, das Kreuz ist falsch herum, oder nicht?“ Irina, die es malte, ist es peinlich, sie ist Grafikdesignerin und findet, sie müsste es wissen. Ansonsten sitzt jede ihrer Linien perfekt. „Hitler kaputt!“ prangt auf Alexandras kleinen Brüsten. Dazu ein Plakat: „Kein Asyl für Nazis!“ Es verschwindet, sorgfältig gefaltet, in der Jeanshose von Josephine.

Irina ist klein, ihr Busen im Vergleich zu Alexandras eher füllig. „Ich hatte früher keine Ahnung, dass es so viele verschiedene Brustformen gibt!“ Der Blick ihrer dunklen glühenden Augen ist stark. „Kill Nazis“ steht auf ihrer Brust. Sie zögert kurz und setzt das Wort „Kill“ in Anführungsstriche. „Als wir im Kiewer Flughafen eine Aktion gegen den russischen Patriarchen machten, hatte Irina auf ihrer Brust ‚Kill Kirill!‘ stehen. Sie bekam fünfzehn Tage Arrest. Wir wollen ja nicht übertreiben!“ Die Frauen tunken ihre Pinsel in die Acrylfarbe. „Acrylfarbe juckt zwar ein bisschen, geht aber mit Seife schnell wieder ab“, sagt Irina.

Die Frauen bereiten sich vor. Üben. Spielen. Denn am nächsten Tag, dem Samstag, will die NPD gegen den Bau eines Asylbewerberheims in Neukölln vorgehen. Mit Hunderten Antifademonstranten wird gerechnet. Auch mit zwei Dutzend Polizeiwagen und vielen Polizisten. Nicht aber mit Alexandra und den Freundinnen.

Noch ist Freitag. In der kleinen Wohnung von Klara im Berliner Stadtteil Wedding sammeln sich die Femen-Aktivistinnen. Klara ist 22 und studiert Ingenieurswesen. Drei junge Frauen sind extra aus Hamburg angereist. Unter ihnen Irina und die 19-jährige Philosophiestudentin Josephine, die Neue. Die Stimmung ist ausgelassen. Alexandra verteilt T-Shirts und Caps mit Femen-Logo. Sie ist vor einem Monat aus Kiew gekommen, um dem deutschen Ableger, der Femen Germany, das Kriegshandwerk beizubringen. „Wir sind härter, provozierender als andere feministische Bewegungen. Wir kämpfen an vorderster Front.“

Weiter Pulli, kuschelige Socken, von Make-up keine Spur. Sie wirkt eher schüchtern, sobald sie zu sprechen anfängt, verstummt alles. Alexandra legt ihren Plan für die morgige Aktion detailliert und mit Verve und lebhafter Mimik dar. Wer sich im Netz tummelt und wem feministischer Protest nicht fremd ist, der erkennt sie, ihr markantes Gesicht, das in der letzten Zeit häufig in den Medien zu sehen war. Wutverzerrt an den Boden gedrückt, flankiert von zwei Polizeistiefeln. Mit zurückgezogenen Armen auf dem roten Berlinale-Teppich. Siegesstrahlend mit einer Fackel in der Hand in der Hamburger Hubertusstraße. Makelloser Busen, blonde Mähne, Blumenkranz. Perfekt, anmutig, hüllenlos und felsenstark. Jeanne d’Arc neu.

Alexandra malt sich ein schwarzes Hakenkreuz auf die Handoberfläche, nähert sich graziös einem der Mädchen. Wupps, kriegt dieses einen Stempel an die Stirn gedrückt. Als den Anwesenden klar wird, was Alexandra, die Kommissarin der Truppe, vorhat, bricht Jubel aus. Das will die entblößte Slawin morgen versuchen: dem Berliner Naziboss Udo Pastörs eine verpassen. „Wow!“

Es wird ein langer Abend. Die grünhaarige Debbie berichtet von ihrer Erfahrung mit Antifa-Kundgebungen. Die Engländerin Pippa will wissen, ob sich „Inglourious Breasterds“ ins Deutsche übersetzen lässt. NPD googeln, Plakate malen, Witze reißen. „Ist der Udo kriminell, ins Gefängnis, aber schnell!“ „Sascha, frag ihn doch, ob er dir ein Busenautogramm gibt.“

Spätabends geht’s dann noch in eine Nachtbar am Hackeschen Markt, wo der Partykönig DJ Hell, ein alter Freund und Femen-Gönner, eine Performance gibt. Die Femen schießen in der U-Bahn Fotos, stellen sie ins Netz, kichern unentwegt. Sie tragen Blumenkränzchen und ziehen Blicke auf sich. Vor der Bar steht eine Riesenschlange. Sie werden erkannt: „Hey, das sind doch die Ukrainerinnen!“ Die Mädchen strahlen. Bei der Nachtperformance sind sie die Stars.

Samstagmittag. Doppelte Polizistenreihe vor dem Eingang in das Gemeinschaftshaus Gropius in Neukölln. Als den Mädchen klar wird, dass sie es ins Innere des Gebäudes nicht schaffen, entscheiden sie sich kurzerhand für den Sturm. Alexandra gibt den Start. Eine Sekunde später liegen die Jacken auf dem Asphalt, fünf Amazonen fliegen eine nach der anderen über die Absperrung, setzen im Flug noch die Kränzchen auf, falten die Plakate aus. Einen Augenblick lang erstarrt der Platz ob so viel nackter Haut bei klirrender Kälte. „Fuck off NPD!“, „Na-zis raus!!“ grölende Mäuler, erhobene Fäuste, der Stinkefinger von Alexandra ist ein Femeninchen im Rampenlicht. Ein Hingucker. „Sie sieht aus wie Veronica Ferres, nur frischer!“, flüstert eine Journalistin. Sehr schnell kriegt sich alles wieder ein. Die Polizisten bekommen ihre steinernen Gesichter zurück. Die Antifas skandieren. Die Nazis amüsieren sich: „Lasst sie doch, lasst sie herkommen!“ „Sextremismus heißt, den Feind direkt in seiner Höhle nackt anzugreifen.“

Die Engländerin Pippa will wissen, ob sich „Inglourious Breasterds“ übersetzen lässt

Die Polizei schreitet ein. Die Kriegerinnen zappeln, winden sich. Die Polizisten bemühen sich sichtlich um sanfte Griffe. Die Fotografen schwitzen. Klara wird ein Dutzend Kratzer davontragen, woher, weiß sie nicht so genau. „In dem Moment ist man so voll Adrenalin, dass man gar nichts mehr merkt.“ Alexandras Trupp wird gegen die Wand gestellt. Josephine zittert am ganzen Leib. Sie werden in die entlegenen Polizeiwagen hinter dem Gebäude abtransportiert. „Wenn man sich auszieht in der Kälte und dann in das warme Polizeiauto kommt, härtet das ab wie die Sauna.“ Identität feststellen, sich einzeln draußen vor dem Wagen fotografieren lassen, immer noch oben ohne, mittlerweile fast eine halbe Stunde, mit einer Nummer in der Hand. Platzverweis. Für Alexandra der fünfzigste in ihrem Femen-Leben.

Ende der Veranstaltung. Es dauert noch eine halbe Stunde, bis die Polizei sämtliche Jacken einsammelt. Die Mädchen finden einander, umarmen sich, tauschen ihre Erlebnisse aus. Sie sehen erschöpft und glücklich aus. Alexandra hat jetzt rote Wollhandschuhe und trägt ernste Miene. Sie telefoniert ununterbrochen. „Ich bin eine Femen!“, strahlt Josephine. „Als ich abgeführt wurde, hat ein Polizist zu mir gesagt: ‚Ja, ich würde viel lieber andere Leute festnehmen, die hier gerade auf diesem Platz sind. Aber er musste halt seinen Job machen.‘ Ich kann das verstehen.“ Hand in Hand ziehen die Mädchen von dannen. Zum Abschied winken sie den Polizisten im Wagen. Diese winken zurück. In der Ukraine laufen gegen Femen zehn Strafverfahren wegen Rowdytums.

Wieder in der Wohnung, googeln sie frische Pressefotos. „Vor Ort werden uns Dutzende Leute sehen. Durch die Kameras erreichen wir die Köpfe von Millionen!“ Die NPD-Veranstaltung war ein voller Erfolg. „Die Frauen haben mehr Eier als wir“, schreibt ein User. „Coole Bilder, können wir alle vier posten?“ „Nein, nimm nur ein Foto, und dann kommt jede Stunde ein neues dazu. Niemals ein Album!“ „Du kannst aber einen guten Ausdruck im Gesicht machen! Die Fotos von meiner ersten Aktion fand ich hässlich.“ „Was machen wir eigentlich als Nächstes?“ –

Und ich? Zwei Tage Kriegsreporterin in Berlin. Genug.