Sieg der Beharrungskräfte

Der Reformator geht, die Selbstverständigungsdebatte wird bleiben: die Berliner Akademie der Künste nach dem Rücktritt ihres Präsidenten Adolf Muschg

Reformwille, vielleicht sogar Reformzwang einerseits. Andererseits: Beharrungskräfte. Man kennt das Drama, das sich aus einem solchen Antagonismus gerne entspinnt. Es ist die große Folie, vor der sich das politische Leben der vergangenen Jahre abspielte. Nun hat das oft beschriebene Dilemma auch die Berliner Akademie der Künste erreicht.

Als gescheiterter Reformer tritt auf: Adolf Muschg, Schweizer Schriftsteller und seit Donnerstag zurückgetretener Präsident der Akademie. Den Part der Beharrungskräfte geben: die einzelnen Sektionen der Akademie (Literatur, Musik, Baukunst etc.), die auf ihrem autonomen Status bestehen und Muschgs Reformansatz eines neuen Statuts auf einer offensichtlich dramatischen Sitzung abgeschmettert haben. Wer einerseits die Erklärung liest, die Muschg – ungewöhnlich genug – auf der Homepage der Akademie öffentlich machte (www.adk.de), und sich andererseits etwas in der europäischen Geistesgeschichte auskennt (Hobbes, Bodin, Macchiavelli u. a.), gewinnt den Eindruck, dass dieser Reform-Beharrungs-Kontext noch durch ein zweites Drama verschärft wurde. Es hat sich hier ein ähnlicher Konflikt abgespielt wie bei der Einführung des Gewaltmonopols des Staates: Die Zentrale will halt zentral regieren, die einzelnen Fürstentümer wollen aber partout ihre Macht nicht abgeben. Es ist, wie es in solchen Fällen eben ist: Wenn die Zentralmacht nicht genug Truppen hat, sich durchzusetzen, muss sie sich zurückziehen. Genau das hat Muschg nun getan.

Über die Frage, ob eine Reform der Akademie notwendig ist oder nicht, ist damit noch gar nichts gesagt. Muschg spricht in seiner Erklärung von „Reibungsverlusten“ und „Verständigungslücken“. So, wie die Akademie verfasst sei, so Muschg weiter, lasse sich vielleicht ein Club führen, aber keine Kulturinstitution mit 150 Mitarbeitern und nationalem Anspruch. Der bisherige Vize- und jetzige Interimspräsident Matthias Flügge hält zwar dagegen, dass Muschg damit „alle Vorurteile gegenüber der Akademie“ bediene, teilt aber im Kern die Strukturkritik. Klar ist jedenfalls, dass die Akademie in ihrer jetzigen Verfasstheit nicht die Rolle wird spielen können, die die Kulturpolitik für sie vorgesehen hat und die auch Muschg übernehmen wollte: eine Einmischungsagentur zu sein, eine Plattform für kulturelle Debatten in einer sich wandelnden Gesellschaft. Aber ist vielleicht diese Rolle sowieso zu groß?

Der Reformer geht, die Selbstverständigungsdebatte wird bleiben. Dem nächsten Präsidenten, wer immer es auch sein wird, bleibt im Grunde nur eines: Entweder er schraubt die Ansprüche an die Akademie herunter, oder er versucht es noch einmal anders mit der Strukturdebatte. Wie es derzeit aussieht, ist der Ausgang vollkommen offen.

DIRK KNIPPHALS