: BERLIN - VON KENNERN FÜR KENNER Die Kultivierung des Gefühls, ein Talent zu sein
Jan Feddersens Gastro-Kritik: Das Blaue Band in Mitte hat erstklassigen Service, weiß aber nicht so recht, worauf es sich spezialisieren soll
Alles kein Elend, in diesem Viertel. Hinterm Alex, auf halber Strecke zwischen Hackeschen Höfen und Rosenthaler Platz gelegen, in Sichtweite der Volxbühne, weiß man ja kaum, dass dort so viele Künstler und Künstlerinnen wohnen, allesamt mit mächtigem Selbstauftrag im Herzen, die aber kaum Geld haben. Der Unterschied zwischen dieser Gesellschaft und ihren Parallelen jenseits des S-Bahn-Rings liegt einfach begründet: Die Boheme scheint noch alles vor sich zu haben, draußen ist schon früh alles trostlos. Aber ein paar Restaurants, Cafés und andere gastronomische Punkte in Mitte beim U-Bahn-Schacht an der Weinmeisterstraße signalisieren, dass langsam auch höher- und hochpreisige Kundschaft dort Platz sucht.
Die Alte Schönhauser Straße ist geradezu wie geschaffen für einen leisen Übergang von künstlerischer Armut (ja nicht: Armseligkeit) zu arriviertem Selbstbewusstsein. Das Blaue Band ist ein Speisehaus, das diese Tranformation verkörpert. Einerseits hat man abends, zur besten bürgerlichen Speisezeit, Stoffservietten auf den Tischen. Andererseits verströmt man tagsüber gern und mit Hilfe der studentischen Gäste ein wenig juveniles Alles-ist-offen-auf-der-Welt.
Man trinkt wunderbaren Milchkaffee, bietet die gängigen Modebiere an (Beck’s), reicht schönen, wenn auch nicht wirklich spektakulären Kuchen, Sattmacher ein wenig zu stark – und bereitet sich auf den Abend vor, wenn die Galeristen kommen, die Professoren, Lehrer und Kunstscouts. Also alle jene, die über die Mittel verfügen, den studentischen Habitus, das Gefühl, ein Talent zu sein, einerseits zu kultivieren, ihn aber immer finanziell abfüttern zu können: Das macht einen geraden Rücken, und so sehen die Gäste abends dann auch aus.
Man speist im Kammerton, bestellt Flaschen Wasser und isst fein. Wir nahmen ein Steak, außerdem eine Suppe wie auch etwas Geschnetzeltes. Die Hauptgerichte sind vorzüglich gegart, der Koch hat ein Talent zum punktgenauen Servieren.
Es ließe sich noch viel sagen über dieses Blaue Band (der Freundschaft!), über das Kochen, über die Langeweile, die einem unhöflicherweise befällt, weil einem plötzlich nicht nach Perfektem ist, sondern nach Deftigem – aber die jungen Frauen und Männer, die dem Gast alles fein bereiten, die nicht nervend umherwieseln und doch sehen, wenn es einen Wunsch zu erfüllen geben könnte: die müssen sich irgendwie untereinander mögen.
Ihre Zusammenarbeit läuft exzellent – als glauben sie nicht, bald auf der konservativen Gastrolandkarte ein echtes Muss zu werden.
Was für ein schöner Erfolg!
BLAUES BAND, Alte Schönhauser Str. 7–8, 10119 Berlin, U-Bhf. Weinmeisterstraße, Tel. (0 30) 28 38 50 99, täglich 10 bis 2 Uhr, Mittagstisch – auch vegetarisch; die üblichen Getränke, Kuchen stets vorrätig