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Archiv-Artikel

Was uns das Land gegeben hat

Antonio D’Elia fand Arbeit in Deutschland. Elf Jahre und elf Autos später ging er zurück nach Sizilien

Hier in meiner Heimat gab’s damals drei Mark Lohn. Am Tag, und auch nur wenn man überhaupt Arbeit fand. In Deutschland dagegen kriegte ich drei, vier Mark pro Stunde.“ Antonio D’Elia muss nicht lange nach einer Antwort suchen auf die Frage, warum er 1959 seinen Koffer gepackt und sich aus der süditalienischen Kleinstadt Sala Consilina in Richtung Schwaben aufgemacht hat. Arbeit war zu Hause Mangelware; in der Armutsregion hinter Neapel schlugen sich die meisten als Tagelöhner auf den Feldern und Baustellen durch. D’Elia hatte ein wenig schreinern gelernt – Möbelschreiner wurden in Deutschland damals dringend gesucht. Die drei Brüder des damals 19-Jährigen waren auch schon ausgewandert, nach Venezuela – da freuten sich die Eltern, dass der Dritte „bloß“ über die Alpen zog.

Wie alle damals musste D’Elia nach Verona; da checkten ihn italienische Ärzte auf seine Gesundheit durch, dann wurde er in den Zug nach Norden gesetzt, den Arbeitsvertrag mit einer Möbelfabrik hatte er schon in der Tasche. „Als Erstes brachte mir Deutschland einen neuen Beruf“, sagt D’Elia heute. „Glaser kriegten viel mehr als Schreiner, also heuerte ich nach sechs Monaten in der Glaserei Böpple an.“ Ein kleiner Laden in Harthausen war das, neun Beschäftigte. Der Chef besorgte dem Süditaliener erst mal ein Zimmer, später dann eine Wohnung. D’Elia war beim Inhaber nicht umsonst so beliebt: Er ließ keine Überstunde aus. 12 Stunden Arbeit waren die Regel, manchmal wurden es 18, immer im Akkord. „Bellissimo“ war auch das Verhältnis zu den deutschen Kollegen, darauf ist D’Elia noch heute stolz: „Ich habe mir das Vertrauen aller erworben.“

Erst mal finanzierte der junge Mann mit dem verdienten Geld sein Hobby: „In elf Jahren Deutschland habe ich elf Autos gefahren: VW, Ford Taunus, Alfa, Lancia, Mercedes.“ Den meisten Lohn aber sparte er; schon in den Sechzigerjahren begann er, in seinem Heimatort in den Bergen, gut 100 Kilometer südlich von Neapel sein Haus zu bauen. 1971 dann kehrte er endgültig zurück. „Aus Deutschland habe ich meine beruflichen Fertigkeiten mitgebracht. Und das Startkapital für meine Glaserei.“

Weit und breit der einzige Glaser war er damals, als er mit den gesparten 20 Millionen Lire – zum damaligen Kurs waren das 120.000 Mark – loslegte. Auch heute noch ist sein mittlerweile auf Thermofenster spezialisiertes Unternehmen aktiv; neben D’Elia arbeiten der Sohn, die Tochter und vier weitere Beschäftigte mit. „So hat mir die Zeit in Deutschland geholfen, nicht nur meine eigene Zukunft zu sichern, sondern auch die meiner Kinder und Enkel.“ Im Erdgeschoss des wie so viele Bauten in Süditalien chronisch unfertig wirkenden Hauses – „wir bauen hier seit 40 Jahren“ – ist die Glaserei, im ersten Stock wohnt Antonio, im zweiten der Sohn, während sich die Tochter 100 Meter weiter ein eigenes Häuschen gebaut hat.

Nein, in Deutschland war D’Elia seit 1971 nie mehr. „Keine Zeit“, sagt der Kleinunternehmer, und seine bescheidenen Deutschkenntnisse hat er auch fast völlig vergessen. D’Elia sagt, sein Chef habe geweint, als er erfuhr, dass der mittlerweile zum Vorarbeiter aufgestiegene Italiener zurück nach Hause wollte. Einmal im Monat aber meldet sich Deutschland noch, per Rentenüberweisung. „300 Euro kriege ich, das ist doch nicht schlecht für die elf Jahre“, sagt D’Elia. MICHAEL BRAUN