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Archiv-Artikel

Die Stadt, die es nur in Filmen gibt

Immer in Sichtweite der Filmindustrie: Thom Andersen, Filmessayist und Historiker, untersucht in „Los Angeles Plays Itself“ das Verhältnis zwischen Drehorten, Schauplätzen und dem flüchtigen Gedächtnis der Stadt. Im Eiszeit-Kino kann man ihm folgen

VON BERT REBHANDL

Thom Andersen lebt in Los Angeles im Viertel Los Feliz in einem Gebäude des Architekten R. M. Schindler. Besucher, die ihn persönlich aufgesucht haben, erzählen, dass vom Wohnzimmer des amerikanischen Filmemachers und Historikers aus der berühmte Schriftzug HOLLYWOOD zu sehen ist – weit entfernt zwar, aber immer noch deutlich lesbar. Das ist ein passendes Bild. Denn Andersen bleibt mit seinen eigenen Filmen nicht nur in Sichtweite zur Filmindustrie. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, vergessene und übersehene Perspektiven auf das amerikanische Kino zu eröffnen.

Mit seinem jüngsten Filmessay „Los Angeles Plays Itself“ schreibt er visuelle Stadtgeschichte. Zwischen Sunset Boulevard und Mulholland Drive gibt es dort zahlreiche Orte, deren Namen häufig bekannter sind als ihre konkrete Lage in der großen Wucherung, die Los Angeles darstellt. Thom Andersen hat sich nun durch zahlreiche Filme und Fernsehserien gearbeitet, die in der Stadt spielen, und hat sie daraufhin angesehen, was sie über die Lebensverhältnisse, die Architektur, die ethnischen Zusammenhänge erzählen. Er rekonstruiert aus diesen Filmsequenzen den Plan einer Stadt, die es nicht mehr gibt.

Vor allem das Viertel Bunker Hill hat es ihm angetan. Hier spielt „The Exiles“ von Kent Mackenzie, ein Film aus dem Jahr 1961, der die wichtigste Wiederentdeckung im Rahmen von „Los Angeles Plays Itself“ darstellt. Vergleichbar mit John Cassavetes’ Klassiker „Shadows“, erzählt „The Exiles“ in loser Form aus dem Leben einiger amerikanischer Ureinwohner, die in der Stadt zwar kein Reservat haben, aber in einer ähnlichen Form an den Rand gedrängt bleiben. Die Männer schlagen sich die Nacht in Bars und beim Kartenspiel um die Ohren, die Frauen gehen zum Tanzen aus – am Ende der Nacht ist nicht viel geschehen.

„The Exiles“ fungiert in „Los Angeles Plays Itself“ deswegen prominent, weil Kent Mackenzie immer wieder zu Angel’s Flight zurückkehrt, einer Zahnradbahn am Third Tunnel, die auf wenigen Metern eine beachtliche Höhendistanz überwindet. Die Protagonisten von „The Exiles“ leben großenteils in der Nähe von Angel’s Flight, das in der inzwischen radikal automotorisierten Stadt wie ein Monument der Verlangsamung wirkt. Heute ist dieser Ort eine Touristenattraktion ohne das soziale Leben, das sich rundherum früher abgespielt hat. „Die besten Filme über Los Angeles handeln immer in irgendeiner Form vom Verkehr“, sagt Thom Andersen.

Er interessiert sich für die so fotogene Stadt als Motiv in mehrfacher Hinsicht. So stellt er fest, dass gerade die berühmten Orte der architektonischen Moderne in der Stadt in den Filmen häufig mit kriminellen oder übel beleumundeten Aktivitäten assoziiert werden. Er analysiert die Schauplätze in berühmten Filmen aus der Zeit des Film Noir und aus den Siebzigerjahren, sucht nach dem Original zu den Science-Fiction-Bildern aus „Blade Runner“ und überprüft, wie genau es Klassiker wie „Chinatown“ oder „L. A. Confidential“ mit der Stadt nehmen, von der sie handeln.

Thom Andersen unterrichtet an der kalifornischen Kunsthochschule CalArts. Die analytische Arbeit mit Film ist sein Beruf. Geboren in Chicago, hat er sich mit Lehrtätigkeiten an verschiedenen Universitäten durchgebracht, bevor er 1974 seinen ersten Film vorstellte: „Eadweard Muybridge, Zoopraxographer“ handelt von dem Mann, der durch Bewegungsstudien an Pferden das Prinzip des Kinos herausfand, dass aus schnell hintereinander gesetzten Einzelbildern ein Bewegungsbild entsteht. 1995 legte Andersen zusammen mit Noel Burch die Dokumentation „Red Hollywood“ vor, in der es darum ging, die Opfer der „Blacklist“ im Hollywood der Fünfzigerjahre dem Vergessen zu entreißen. Zu diesem Thema kuratierte Andersen später auch eine Retrospektive für das Wiener Filmfestival Viennale, bei dem er als ein „Hausintellektueller“ sehr häufig anzutreffen ist.

Sein Zorn, den er in „Los Angeles Plays Itself“ ruhig, aber unverhohlen zu erkennen gibt, resultiert aus der Diskrepanz zwischen seinem Wissen und der instrumentellen Vernunft in der Filmindustrie. Zwar gibt es in „Los Angeles Plays Itself“ auch so etwas wie eine Subgeschichte der Repräsentation (neben „The Exiles“ führt Andersen hier auch afroamerikanische Filme wie „Killer of Sheep“ von Charles Burnett oder „Bush Mama“ von Haile Gerima an). In erster Linie protestiert Andersen aber gegen die visuelle Enteignung, die der „city of angles“ (Gary Indiana) durch die Unterhaltungsindustrie widerfährt.

Ein Film mit dem Titel „Los Angeles Plays Itself“ kommt in „Los Angeles Plays Itself“ übrigens auch vor: Es handelt sich dabei um einen Schwulenporno.

Thom Andersen ist Historiker mit dem Temperament eines Sammlers. Über die Stadt, in der er lebt, hat er nun ein definitives Werk geschaffen. Es ist geprägt von dem Pessimismus, der vielen Menschen eignet, die eine Menge wissen, damit aber am Rande bleiben.

„Los Angeles Plays Itself“, im Eiszeit, am 23. 12., 25.–28. 12., 20.30 Uhr