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Archiv-Artikel

„Hollands Drogenpolitik ist scheinheilig“

Wer den Verkauf von Cannabis duldet, darf Zulieferung nicht kriminalisieren, meint Gerd Leers, Bürgermeister von Maastricht

„Ich habe die Drogen nicht erfunden. Es wäre mir lieb, es gäbe sie nicht. Ich stelle aber fest, dass es sie gibt. Und es wird sie immer geben“

INTERVIEW HENK RAIJER

taz: Herr Leers, ihr Parteifreund, Hollands Regierungschef Jan Peter Balkenende, hält Sie für einen drogenpolitischen Hasardeur. Ist bei Drogen in Maastricht alles erlaubt?

Gerd Leers: Balkenende zeigt damit nur, dass er von den spezifischen Problemen, die Maastricht als grenznahe Stadt durch den tolerierten Verkauf von Drogen hat, und von den Diskussionen, die wir hier führen, um diese Probleme zu lösen, im Grunde nichts verstanden hat. Gut 4.000 Drogentouristen vorwiegend aus Deutschland, Frankreich und Belgien kommen jeden Tag in unsere Stadt. Das sind eineinhalb Millionen im Jahr! Die rauchen häufig nicht nur friedlich ihren Joint, sondern beschäftigen zum Teil in der Nacht auch unsere Polizei, weil sämtliche 16 Coffeeshops im Stadtzentrum liegen. Vor allem jedoch fördern sie die Kriminalität in Maastricht, weil die hunderte von Kilos Cannabis, die diese Besucher täglich abnehmen, schließlich irgendwo produziert werden und in die Verkaufsstellen gelangen müssen. Und genau das geschieht auf illegalem Wege! Das ist ja das Scheinheilige an Hollands Drogenpolitik: Cannabis darf in Coffeeshops verkauft werden, diese können aber ihren Warenbestand nirgendwo legal einkaufen. Dabei macht mancher Coffeeshop locker 100.000 Euro Umsatz pro Woche.

Und deshalb wollen Sie Produktion und Distribution von Cannabis aus der Illegalität holen?

Bisher tun wir so, als würden diese doch beträchtlichen Mengen einfach vom Himmel fallen. Dabei haben gut organisierte Banden diesen Markt in ihrer Hand, nicht selten stellen Leute hier in der Region ihnen gegen Bezahlung Scheunen, Keller oder Dachböden zum Anbau von Cannabis zur Verfügung. Daher sage ich: Entweder wir schließen alle Coffeeshops, oder wir regeln und kontrollieren ab sofort auch Produktion und Anlieferung.

Kommt das nicht einer Legalisierung des Marktes gleich?

Nein! Ich plädiere ja keineswegs für die völlige Freigabe von Verkauf und Herstellung weicher Drogen. Ich will nur diesen kriminellen Machenschaften einen Riegel vorschieben. Und ich will Schluss machen mit der Doppelmoral, die den Verkauf toleriert, aber die Zulieferung kriminalisiert. Als ich noch Parlamentsabgeordneter war, glaubte ich tatsächlich, man könne den Konsum von Cannabis durch Repression bekämpfen. Da ich inzwischen aus der Praxis weiß, dass Repression und Verbote nicht nur nichts bringen, sondern sogar zu mehr Kriminalität führen, wollen wir in Maastricht ein System praktizieren, das nicht nur die Haustür, sondern auch den Hintereingang regelt und kontrolliert.

Wundert es Sie da noch, wenn es heißt: Der Bürgermeister von Maastricht will den Drogenverkauf liberalisieren?

Aber das ist doch Unsinn! Niemand hat mich je behaupten hören, dass wir in Holland eine noch liberalere Drogenpolitik brauchen, als wir sie schon haben. Ich habe die Drogen nicht erfunden, es wäre mir lieb, es gäbe sie nicht. Ich stelle aber fest, dass es sie gibt. Sie waren immer da und es wird sie immer geben! Nach dieser Maßgabe betrachte ich die holländische Coffeeshop-Politik als Errungenschaft und verteidigenswert. Schließlich zeigen Untersuchungen, dass in Holland unter Jugendlichen die Zahl der Drogenkonsumenten (13 Prozent) im Vergleich etwa zu Frankreich (22 Prozent), Deutschland oder Belgien (beide 17 Prozent) weitaus niedriger liegt. Ich mag nur vor den kriminellen Begleiterscheinungen nicht länger die Augen verschließen. Da will ich durchgreifen.

Wie wollen Sie das anpacken?

Bislang stellen wir den Betreibern von Coffeeshops Genehmigungen aus. Künftig wird in diesen ein Passus enthalten sein, in dem festgelegt ist, von wem und in welcher Menge ein Unternehmer seine Ware bezieht. Und auch der Produzent erhält eine Genehmigung, wodurch wir gleichzeitig ein Auge auf die Qualität der Ware haben. Jedwede Produktion, deren Herstellung und Verbleib nicht klar geregelt ist, gilt als illegal und wird streng geahndet. So muss ein Coffeeshop-Betreiber, der trotz seiner Verpflichtungserklärung woanders zusätzliche Ware einkauft, damit rechnen, dass wir ihm den Laden dicht machen.

Kontrollieren wollen Sie künftig auch genauer, wer in Maastricht Drogen kauft. Sechs von zehn Kunden sind ausländischer Herkunft, viele von ihnen sind Deutsche aus dem Aachener Raum. An sie dürfen Coffeeshop-Betreiber dann nicht mehr verkaufen. Ist eine solche Verordnung realistisch?

Es handelt sich hier um ein Experiment, um ein Pilotprojekt. Der Vorschlag, den Drogenverkauf an Nicht-Eingesessene zu verbieten, kommt vom Justizminister. Er war hier und hat gesehen, welche Probleme Maastricht durch den Drogentourismus entstehen. Wir erhoffen uns von der Einführung eines solchen „Ausweissystems“ – das, wenn es erfolgreich ist, später von anderen Städten übernommen wird – ein Zurückdrängen des Drogentourismus‘ und der damit einhergehenden Kriminalität.

Ist denn ein solches Vorgehen überhaupt mit europäischem Recht vereinbar?

Natürlich verbietet die EU per Definition eine Unterscheidung in Staatsbürger und EU-Bürger. Das Justizministerium in Den Haag geht aber vorerst davon aus, dass eine solche Unterscheidung EU-rechtlich unbedenklich ist. Trotzdem stecken wir hier zugegebener Maßen in einem Dilemma und haben deswegen einen juristischen Streit von Vornherein einkalkuliert: Weil wir eine mögliche Klage eines Coffeeshop-Betreibers wegen Einkommenseinbußen vor dem Europäischen Gerichtshof in unsere Überlegungen mit einbeziehen müssen, werden wir für die Dauer eines solchen Verfahrens – und dieses kann bis zu fünf Jahren dauern – keine Sanktionen gegen Unternehmer verhängen, auch wenn wir sie dabei erwischen, wie sie an ausländische Kunden Cannabis verkaufen. Das heißt: Die für unser Experiment ausgesuchten Coffeeshop-Betreiber verpflichten sich, die Vereinbarung mit uns einzuhalten. Verstößt einer gegen die Vereinbarung, machen wir ihn darauf aufmerksam, von Sanktionen müssen wir aber zunächst absehen. Stellen Sie sich nur einmal vor, was passieren würde, wenn wir ihm den Laden dicht machen und der zieht dann vor den Europäischen Gerichtshof. Und die Richter kommen nach drei oder gar fünf Jahren zu dem Schluss, Maastricht hätte das laut EU-Recht nicht tun dürfen. Der könnte doch die Stadt für jahrelangen Umsatzausfall auf Schadenersatz verklagen. Das käme uns richtig teuer zu stehen.

Führt ein System, das Nicht-Eingesessene vom legalen Erwerb ausschließt, nicht zwangsläufig zu einem Aufschwung im illegalen Sektor?

Das können wir tatsächlich nicht ausschließen. Die Konsumenten sind ja nicht blöd, die werden Möglichkeiten finden, sich den Stoff woanders zu besorgen. Da vollführen wir im Moment ja auch eher einen Seiltanz: Einerseits wollen wir durch das Ausweissystem die Zahl der Drogentouristen aus dem Ausland reduzieren, andererseits verhandeln wir gerade mit acht von 16 Coffeeshop-Betreibern über neue Standorte an den Ausfallstraßen Richtung belgische Grenze. Dort könnten dann ausländische Konsumenten, trotz Verkaufsverbots, auch in Zukunft ihre fünf Gramm Cannabis kaufen.

Da werden sich Ihre Kollegen in den Nachbargemeinden, die bisher Coffeeshop-frei waren, aber freuen...

Wir hoffen und erwarten, dass sie in dieser Frage mitziehen.

Die EU-Staaten, allen voran Deutschland und Frankreich, halten an einem generellen Verbot fest. Glauben Sie, dass Sie die Nachbarn mit Ihrem Konzept überzeugen können?

Die Probleme von Maastricht sind die einer ganzen Region, einer Euregio. Und deswegen müssen wir die Unterschiede bei der Bekämpfung von drogenbezogener Kriminalität abstellen. Es geht nur zusammen. Solange die Regierungen in Berlin und Paris an ihrer Null-Toleranz-Politik festhalten, bleibt es schwierig, Fortschritte zu erzielen. Der Konsum von Cannabis muss enttabuisiert werden. Es ist absolut notwendig, dass die Regierungen der EU-Staaten weniger verkrampft reagieren, wenn es um weiche Drogen geht. Sie müssen einfach akzeptieren, dass Cannabis ebenso wie Alkohol Teil unserer Genussmittelindustrie ist.