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Archiv-Artikel

Gut für Kliniken, nicht für die Kranken

GESUNDHEITSSTUDIE In deutschen Hospitälern wird viel mehr operiert als anderswo. Es gibt zu viele Betten

Die Klinikbudgets sollten besser kontrolliert werden. Andere Staaten schaffen das auch

AUS BERLIN HEIKE HAARHOFF

Deutschland ist weiterhin OP-Weltmeister – und das ist für die Gesundheitsexperten, die sich am Donnerstag in Berlin versammelten, kein Grund zur Freude. Mark Pearson von der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD), die die Konferenz gemeinsam mit dem Bundesgesundheitsministerium organisierte, gab sich denn auch keine Mühe, auch nur ansatzweise diplomatisch zu klingen: „Besorgt“ sei er angesichts der Entwicklungen an deutschen Krankenhäusern, „sehr besorgt“. Was ihn umtreibt, sind nicht nur die steigenden Ausgaben für die rund 2.000 deutschen Kliniken.

In diesem Jahr werden die Kosten rund 65 Milliarden Euro betragen – das entspricht etwa einem Drittel des Budgets der Krankenkassen. Problematischer noch findet er die rasant zunehmende Zahl der Eingriffe: „Es fällt einem schwer zu glauben“, sagte Pearson, „dass deutsche Ärzte durch ökonomische Anreize dazu verleitet werden könnten, ihre Patienten öfter oder früher zu operieren als anderswo“.

Doch angesichts der von der OECD erhobenen Zahlen dränge sich der Eindruck auf, dass längst nicht alle Eingriffe „medizinisch gerechtfertigt“ seien. Es bestehe die Gefahr, dass nicht immer nur zum Wohl, sondern zuweilen auch zum Schaden von Patienten operiert werde. Pearson: „Der starke Zuwachs bei Krankenhausleistungen in Deutschland ist besorgniserregender als in anderen Ländern, da er bereits von einem im OECD-Vergleich sehr hohen Niveau ausgeht.“ In Deutschland gehen so viele Menschen ins Krankenhaus wie in kaum einem anderen Industriestaat: Auf 1.000 Einwohner kommen 240 Klinikaufenthalte im Jahr. Nur in Österreich sind es mit 261 Klinikaufenthalten noch mehr. Der OECD-Durchschnitt dagegen liegt bei 155.

Bei den Herz-Kreislauf-Behandlungen und künstlichen Hüften liegt Deutschland weiterhin an der Spitze, beim Einsatz von Knieprothesen auf Platz 2.

Obwohl hierzulande nicht mehr Menschen an Krebs erkranken als anderswo, werden Krebspatienten doppelt so häufig wie im OECD-Durchschnitt stationär therapiert. Allerdings gibt es in Deutschland weit mehr Krankenhausbetten als in anderen Ländern (8,3 Betten pro 1.000 Einwohner, noch mehr haben nur Japan und Korea, der OECD-Durchschnitt liegt bei 4,9).

Dass die Deutschen immer älter werden, erkläre noch nicht, warum hier so signifikant mehr Patienten als anderswo stationär behandelt werden, heißt es. Nur ein Drittel des zwischen 2005 und 2010 verzeichneten Gesamtanstiegs bei den Krankenhausleistungen ist laut OECD „demografisch erklärbar“.

Pearson forderte, die Krankenhausbudgets besser zu kontrollieren. Andere OECD-Länder schafften das schließlich auch. Derzeit aber werde den deutschen Landesregierungen „kein Anreiz geboten, die Krankenhauskapazitäten zu rationalisieren, wo dies wünschenswert wäre“. Beispiel Fallpauschale: 85 Prozent aller Krankenhausleistungen würden nach diesem System abgerechnet, das vor etwa zehn Jahren als reines Preisinstrument eingeführt wurde. Dies sei nicht klug. Andere Länder wie Frankreich zeigten, dass sich die Fallpauschalen zusätzlich als „Ausgabensteuerungsinstrument“ nutzen ließen – zugunsten des Budgets.

Schwierig sei auch, dass die Krankenkassen praktisch keine Gelegenheit hätten, über Einzelverträge mit Krankenhäusern gezielt Qualität zu fördern: „Eine einzelne Krankenkasse hat nicht die Möglichkeit, etwas an Preis oder Menge zu variieren“, kritisiert das OECD-Papier.

Das alles muss nicht so bleiben: Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern verfügt Deutschland laut OECD über exzellentes Datenmaterial zu Qualitätsindikatoren an Kliniken. Konsequenzen hätten diese fleißigen Zahlenerhebungen bislang freilich keine.