: Raus aus der Schmuddelecke
AUFKLÄRUNG Antifa-Initiativen recherchieren seit Langem zu Personen und Strukturen der Neonazi-Szene. Erst seit die Terrorzelle NSU aufflog, wird ihre Arbeit von der Politik und den Medien wertgeschätzt
EIKE SANDERS, Antifa-aktivistin
VON SEBASTIAN ERB
Der Moment, in dem sie plötzlich von vielen ernst genommen wurden, war vor ziemlich genau einem Jahr. Tausende Seiten hatten sie durchgeschaut, und dann fanden sie das Kürzel in der Ausgabe 1/2002 der Neonazi-Zeitschrift Der Weisse Wolf. „Vielen Dank an den NSU“, steht da fettgedruckt im Vorwort, „es hat Früchte getragen ;-) Der Kampf geht weiter …“
Die erste öffentliche Erwähnung der Nazi-Terrorzelle entdeckte nicht etwa der Verfassungsschutz, sondern das Antifaschistische Pressearchiv & Bildungszentrum in Berlin (Apabiz). Der Verein wurde in den Zeitungen nun zitiert als „das als seriös geltende Antifaschistische Pressearchiv“.
„Was waren wir denn vorher?“, fragt Eike Sanders, die seit vier Jahren beim Apabiz arbeitet, und gibt die Antwort gleich selbst. „Als veritable Quelle wurden wir selten wahrgenommen, das hat sich schon geändert.“ Vorher waren sie für viele schlicht linksextreme Aktivisten.
Im November 2011 flog der NSU auf, in der kommenden Woche beginnt der Prozess gegen Beate Zschäpe und vier mutmaßliche NSU-Unterstützer. In den anderthalb Jahren dazwischen ist für antifaschistische Recherchegruppen einiges anders geworden. Der Verfassungsschutz und die Sicherheitsbehörden allgemein gelten jetzt als Versager. Antifa dagegen ist nicht mehr nur pfui.
Beim Apabiz bemerken sie, dass nun hingeschaut wird, was sie machen. Es kommen geschätzt dreimal so viele Anfragen wie früher. Und inzwischen, so erzählen es die Mitarbeiter, rufe auch mal ein Journalist der Welt an.
Anonyme Rechercheure
Dass etwas anders geworden ist, bemerken auch die Leute von Gamma. Das Antifa-Magazin aus Leipzig wurde nun ebenfalls in anderen Medien zitiert, etwa wenn darin Details zu Spitzeln aus dem Umfeld der Rechtsterroristen veröffentlicht wurden. Darüber freuen sich die anonymen Rechercheure. Gleichzeitig bemängeln sie aber, dass ihre Erkenntnisse längst nicht immer ihnen zugeschrieben werden. „Es ist schon vorgekommen, dass wir als namenlose ‚Extremismus-Experten‘ bezeichnet oder unsere Hinweise ‚Sicherheitskreisen‘ angedichtet wurden“, sagen sie in einem Interview in der antifaschistischen Zeitschrift Lotta. Darüber hinaus wollen sich die Gamma-Macher nicht äußern, per E-Mail schreiben sie: „Gern würden wir es weiterhin so handhaben, unsere Recherche-Informationen in Anschlag zu bringen – und nicht uns selbst darzustellen.“
Andere Zeiten auch in Bayern. „Es gab eine Erwartungshaltung, die wir gar nicht erfüllen konnten und wollten“, sagt Marcus Buschmüller, der Vorsitzende der Antifaschistischen Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München (Aida). Als Ehrenamtliche hatten sie doch gar nicht die Zeit, sich den ganzen Tag um Anfragen zu kümmern. „Und wir haben auch nicht den Anspruch, ein linker Verfassungsschutz zu sein.“
Zum Verfassungsschutz hat das Aida-Archiv ein sehr gespanntes Verhältnis. Von 2009 bis 2011 wurde der Verein selbst im bayerischen Verfassungsschutzbericht erwähnt. Weil er angeblich linksextrem war und verfassungsfeindlich. Dagegen wehrte sich Aida, ein jahrelanger Rechtsstreit endete vergangenen Herbst mit einem Vergleich: Der Verein wird nachträglich aus dem Verfassungsschutzbericht gestrichen. „Mal schauen, wie nachhaltig die Bewusstseinsänderung ist“, sagt Buschmüller.
Ortswechsel: Berlin, Bundestag, Raum PLH 4.900, der Europasaal im Paul-Löbe-Haus. Hier tagt der NSU-Untersuchungsausschuss. Nur eine Handvoll Journalisten sind bei dieser Sitzung Mitte März gekommen, keine einzige Fernsehkamera ist im Foyer aufgebaut.
Aber Apabiz-Mitarbeiter Felix Hansen ist da. Er ist um die 30, trägt verwaschene Jeans und einen dunkelblauen Schal. Über sich selbst will er nicht viel sagen. Nur, dass er Teilzeit arbeite, um das Geld zu verdienen, das er zum Leben braucht. So bleibt viel Zeit für die ehrenamtliche Arbeit. Hansen holt sein Laptop aus der Umhängetasche. Die nächsten Stunden wird er sich nun Notizen machen.
Drei leitende Kriminalbeamte aus Sachsen sind als Zeugen geladen, die alle mit der Fahndung nach dem untergetauchten Trio zu tun hatten. Es sind Männer in grauen Jacketts, die sich nicht so richtig zuständig fühlten – es waren ja Thüringer Neonazis – und Sätze sagen wie: „Es findet keine Erinnerung statt.“
Die Zuschauer verlassen nach und nach ihre Plätze, am Ende, kurz nach halb sechs Uhr abends, sind es noch ein Dutzend. „Also wirklich neue Erkenntnisse über die neonazistische Szene gab es nicht“, sagt Felix Hansen. Aber vorher weiß man eben nie, was passiert. Er erinnert sich an einen Abend, als nur noch er und eine andere Zuschauerin auf der Zuschauerempore saßen – scheinbar langweilige Routine. Und dann begann gegen 22 Uhr der ehemalige Verfassungsschutzchef von Brandenburg zu plaudern über „Piatto“ und ob man den V-Mann nicht hätte abschalten müssen. „Damit hätte keiner gerechnet, dass es noch so interessant wird.“
Aber es geht Hansen nicht unbedingt um neue Erkenntnisse, sondern um die Zwischentöne. Im Untersuchungsausschuss kann man viel darüber lernen, wie die Sicherheitsbehörden ticken. „Man versteht ein bisschen besser, warum manche Dinge so passiert sind, wie sie passiert sind“, sagt er. Etwa dass ein rechtsextremer Hintergrund einfach nicht erkannt wird, nur weil kein Hakenkreuz an den Tatort geschmiert wurde. Ansonsten archivieren sie einfach Material, ohne jetzt schon zu wissen, wann es einmal nützlich sein wird. „Hätten wir vor 15 Jahren die Sachen nicht systematisch gesammelt“, sagt Hansen, „hätten wir jetzt nichts, aus dem wir schöpfen könnten.“
Sie haben keinen Platz
Bei einem hat ihnen ihr Archiv aber auch nicht geholfen, das räumen sie selbstkritisch ein. Auch sie brachten das untergetauchte Trio aus Jena nicht in Verbindung mit den Morden an den Kleinunternehmern türkischer und griechischer Herkunft, die alle mit derselben Waffe hingerichtet wurden. Sie tauschten sich nicht genügend aus, hatten zu wenig Kontakt zu Migrantenorganisationen.
Jetzt, da die Skandale und Aufklärung rund um die Terrorzelle zunehmend kleinteilig werden und selbst Experten nicht mehr so richtig durchblicken, wollen Apabiz, Aida und andere Initiativen die Auseinandersetzung mit dem NSU professionalisieren. Mit einer „unabhängigen Beobachtungsstelle“ wollen sie den Prozess in München begleiten und auf nsu-watch.info Protokolle und Analysen veröffentlichen, auf Deutsch und möglichst auch auf Türkisch.
Sie haben Spenden gesammelt und können damit zwei halbe Stellen finanzieren, zunächst für vier Monate. Eike Sanders wird dabei sein und auch Felix Hansen. Das Problem: Einen sicheren Platz im Zuschauerraum haben weder die beiden noch ihre Mitstreiter. Sie haben sich zwar als Pressevertreter akkreditiert, aber andere waren schneller.