JUNGE MÄNNER IN TEUREN ANZÜGEN, DIE VOR THATCHERS HAUS IM FEINEN STADTTEIL BELGRAVIA EIN STRÄUSSCHEN ABLEGEN : Thatchers Tod als ein Stück Popkultur
VON JULIA GROSSE
Morgen ist das staatliche Begräbnis von Margaret Thatcher, und die Briten, zumindest die, die Thatcher hassten, summen bereits ihren persönlichen Antihit. Der 51-Sekünder „Ding Dong! The Witch is Dead“ aus dem Klassiker „Der Zauberer von Oz“ befindet sich auf Platz 2 der Charts, verkaufte sich seit Thatchers Tod mehr als 50.000 Mal und ist der beste Beweis, dass wirklich niemand schneller und nahtloser aus einem Ereignis ein Stück verwertbare Popkultur machen kann als die Briten.
Am Wochenende sollte eine Demonstration am Trafalgar Square sie alle zusammenbringen. Die Enttäuschten, die Verratenen, sogar damalige Minenarbeiter und Gewerkschafter wurden erwartet. Aber dann begann es zu regnen, und bei allem Frust dachten sich scheinbar so einige: als Rentner bei dem Gepläster protestieren, muss auch nicht sein. Am Ende waren es vor allem viel Presse und Polizei und friedlich zu Bongotrommeln tanzende Mittdreißiger. Im Südlondoner Stadtteil Brixton wurde deutlich medienwirksamer gefeiert: Protestanten zündelten an Porträts der eisernen Lady herum und hängten Plakate mit „The bitch is dead“ an die Fassade des legendären Programmkinos Ritzy. Reiner Zufall, oder wollte man mit der Wahl des Kinos den britischen Regisseurs Ken Loach feiern? Der schlug nämlich vor, das morgige Staatsbegräbnis komplett zu privatisieren. Mit dem normalen Prozedere, dem billigsten Anbieter den Zuschlag zu geben. „Denn im Grunde ist es doch genau das, was Thatcher gewollt hätte!“
Für die konservativen Medien wie den Evening Standard ist die geballte, offen gezeigte Trauer und Euphorie (Blumen auf der einen und böse Banner auf der anderen Seite) in diesen Tagen ein Fest der Stimmungsmache. Ein regelrechter Freischein, das ABC des britischen Klassensystems richtig schön auszubreiten: Eine geteilte Stadt! Links im Bild die „linken Randalierer“ in Camouflagejacken und geschmacklosen „The bitch is dead“-Plakaten! Rechts im Bild ruhige, junge Männer in teuren Anzügen und mit akkuraten Haarschnitten, die vor Thatchers Haus im feinen Stadtteil Belgravia ein Sträußchen ablegen. Die Schaffung von stimmungmachenden Dualismen auf Grundkursmedienwissenschaftsniveau.
Natürlich eignet sich Brixton als fotogener „Posterboy“ des Protests perfekt: Immerhin waren die Ausschreitungen von 1981 nicht zuletzt auch eine Reation auf die massive Verschlechterung der Lebensbedingungen der Arbeiterklassen und die gleichzeitige Ausweitung willkürlicher Polizeistraßenkontrollen unter der Thatcher-Regierung. Tragisch ist, dass Brixton inzwischen selbst knietief in einem absurden Dualismus steckt: von den Medien auf der Oberfläche geliebt als die perfekte Adresse, wenn man Bilder von Revolte will. In der Realität aber längst von Maklern und Unternehmen ausgehoben als das neue Gentrifizierungsparadies, mit Starbuck’s, H & M und einer neuen Filiale des Megamaklers Foxtons. Deren Schaufenster wurden zwar bereits nach wenigen Tagen fast rührend mit „Yuppies raus!“ versehen, im Glauben an die altgediente Kraft aus Sprühdose und Protestslogan. Doch diese Aufforderung macht niemandem mehr Angst. Und die Yuppies werden auch nicht mehr gehen.
■ Julia Grosse ist taz-Kulturkorrespondentin in London