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Archiv-Artikel

Die Opfer haben Namen, die Täter nicht

BOSTON Die Bomben für den Anschlag auf den Marathon wurden mit Kochtöpfen gebaut. Wer sie hergestellt hat, ist unklar. US-Gesellschaft trauert um Opfer. Rechte wittern Dschihad. Linke kritisieren ungleiches Trauerniveau

Unklar ist auch die Herkunft verdächtiger Poststücke, die in Washington auftauchten

VON DOROTHEA HAHN

WASHINGTON taz | Am dritten Tag nach den Bombenexplosionen im Zentrum von Boston haben alle drei Todesopfer einen Namen. Und Präsident Barack Obama wird am Donnerstag zu einer interkonfessionellen Gedenkveranstaltung nach Boston reisen. Aber der oder die Attentäter laufen weiter frei herum.

„Irgendjemand weiß, wer es getan hat“, sagt Richard DesLauriers, der die Operation für den FBI leitet: „Es ist ein Freund, Nachbar, Kollege oder Verwandter.“ Die Ermittler suchen weitere Fotos und Videos vom Marathon-Tag. Sie glauben, dass die beiden Sprengsätze in Schnellkochtöpfen versteckt waren, deren geschmolzene Reste sie gefunden haben. Und sie meinen, dass jemand sie – in einer Tasche oder einem Rucksack – aus dunklem Nylon an den Tatort geschleppt hat.

Unklar ist auch die Herkunft verschiedener Poststücke, die in Washington auftauchten. So hat der Secret Service nach eigenen Angaben einen an US-Präsident Barack Obama adressierten Brief abgefangen, der eine „verdächtige Substanz“ enthalten hat. Der Brief sei bereits am Dienstag außerhalb des Weißen Hauses abgefangen worden, sagte Sprecher Ed Donovan am Mittwoch. Weitere verdächtige Postsendungen gingen an zwei zum Senat gehörende Gebäude, die daraufhin teilweise evakuiert wurden. Bereits am Dienstag war ein Umschlag mit dem Gift Rizin, der an den Senator Roger Wicker adressiert war, abgefangen worden. Wicker ist einer der 16 Republikaner, die kürzlich entgegen der Parteilinie für eine Debatte über ein Waffenkontrollgesetz gestimmt hatten.

Im Bostoner Stadtteil Dorchester haben am Mittwochabend Hunderte eine Kerzenwache für den achtjährigen Martin Richard abgehalten. Die Mutter und Schwester des jüngsten Todesopfers liegen schwer verletzt im Krankenhaus, sein Vater ist bei dem Marathon mitgelaufen. In einer Pressekonferenz hat die Mutter der 29-jährigen Krystle Campbell schluchzend beschrieben, was für ein helfender, positiver und lächelnder Mensch ihre Tochter war. Drittes Opfer ist die aus China stammende Mathematikstudentin Lu Lingzi.

Während die USA die Lebensgeschichten der Opfer entdecken, ist offiziell weiter unklar, ob ausländische oder inländische Täter und Motive hinter der Tat stecken. Die Ermittler selbst sagen nichts dazu. Ehemalige FBI- und CIA-Leute hingegen weisen mit dem Finger auf al-Qaida – weil die schon vor Jahren Anleitungen zum Bau von Bomben in Drucktöpfen veröffentlicht hat.

Konservative Politiker in den USA haben auch bereits begonnen, die angebliche Laxheit der Obama-Regierung in Sachen Terrorismusverfolgung verantwortlich zu machen. Selbst erklärte Muslimjäger von ganz weit rechts, wie Pat Geller, sprechen gar vom „Dschihad in den USA“.

Doch langjährige Ermittler, wie Ex-FBI-Mann John Miller, geben zu bedenken, dass Bomben in Drucktöpfen in den USA schon in den 70er Jahren von ganz anderen Attentätern verwendet worden sind. Auch auf dschihadistischen Webseiten wird darüber gerätselt, wer hinter den Attentaten steckt. Sie hoffen, so Miller, dass es jemand aus ihren Reihen ist, sind aber nicht sicher.

Die große Sympathie mit den Anschlagsopfern in den USA ist indes nicht ungebrochen. Der linke New-Yorker-Kolumnist Glenn Greenwald setzt sie etwa in Kontrast zu dem weitgehend inexistenten Mitgefühl mit den Opfern von US-Anschlägen mit Drohnen und anderen Sprengstoffen weltweit. Dort fehle „dasselbe Niveau von Trauer“.