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Archiv-Artikel

Drucker weichen dem Mietdruck

Seit 1952 arbeitet Gerd Schneider in seiner Druckerei in einem Kreuzberger Hinterhof – mit teilweise über 50 Jahre alten Maschinen. Jetzt muss er ausziehen. Seine Ausrüstung wandert ins Museum

VON JAN STERNBERG

Nach Neujahr wird Gerd Schneider sein Leben aufräumen – zum Abtransport ins Museum. Und er wird mitgehen. Gerd Schneider, Jahrgang 1930, Druckereibesitzer, wird sich darum kümmern, wie seine drei Druckmaschinen aus dem Hinterhof der Kreuzberger Ritterstraße 12 die paar hundert Meter ins Bezirksmuseum in der Adalbertstraße gelangen. „Elfriede“, die Heidelberger Tiegel von 1961, die Zylinder-Maschine von 1962 und die Offset von 1977. Die 500 Bleisatzkästen. Und die Sammlung von Jazz- und Swing-Kassetten. Die gehören vielleicht nicht zur Standard-Ausstattung einer Druckerwerkstatt, aber genauso zu Gerd Schneiders Leben wie Bleisatz und Druckerschwärze.

Der Druckerei ist gekündigt worden. Nach 53 Jahren. Seit 1952 druckt Gerd Schneider auf 110 Quadratmetern im zweiten Stock des Gewerbe-Hinterhofs. Vor fünf Jahren setzte er sich zur Ruhe. Den Betrieb, den sein Vater 1928 gründete, hatte er in den vergangenen Jahren allein weitergeführt. Er schenkte die Druckereiausstattung dem Bezirk. Der gewährte Mietfreiheit in dem bezirkseigenen Gebäude: Die Druckerei Schneider nannte sich nun Außenstelle des Kreuzberg Museums. Für Gerd Schneider war es immer noch so wie früher. Als ginge er zur Arbeit.

Vor drei Jahren hätte er schon einmal fast ausziehen müssen. Per Senatsbeschluss wurden die bezirkseigenen Immobilien an den Liegenschaftsfonds überschrieben. Die Garantie des Bezirks war passé. „Wer nicht zahlen kann, muss gehen. Mietfreiheit gibt es auch für ein Museum nicht“, sagte damals Liegenschaftsfonds-Sprecherin Irina Dähne. Doch ein Investor ließ sich in der Ritterstraße erst einmal nicht blicken. Schneider durfte bleiben. Im Sommer 2005 gab es dann doch noch Käufer. Deren Konzept sieht eine „Optimierung der Mieterstruktur“ vor, sagt Irina Dähne. Das klingt nicht gerade, als hätte die Druckerei Schneider eine Chance.

Die Käufer, die Herren Steinich und Reinhardt, sagen am Telefon nichts. Schneider und dem Kreuzberg Museum haben sie gesagt, dass die Räume bis zum 28. Februar besenrein zu übergeben sind. So wird es wohl geschehen – wenn nicht doch noch ein Sponsor kommt, der diese Erinnerung an das alte Kreuzberg erhalten sehen will.

„Für uns ist das natürlich ein extremer Einschnitt“, sagt Gerd Schneider. „Aber wir sind nicht in der Lage, hier eine richtige Miete zu zahlen.“ Der Ur-Kreuzberger macht sich Mut. Dass jetzt alles ins Museum kommt, „ist doch gut, das ist doch für alle eine Lösung“. Aber es wird anders sein. Schneiders Druckerei war eigentlich kein Museum des Bleisatzes, es war der beste mögliche Ort, um Kreuzberger Geschichte zu verstehen.

Freitagnachmittag ist hier geöffnet, und wenn keine Gruppen oder Stadtführungen kommen, wenn nicht der äthiopische Kalender mit Holzschnittarbeiten, das Memory-Spiel der Drucker- und Setzersprache oder das Programm des Kreuzbergmuseums hergestellt werden müssen, treffen sich bei Schneiders die Veteranen des analogen Zeitalters. Hier erzählt man beim Bürgerbräu aus Friedrichshagen Geschichten, wie es in den 80ern beim Tagesspiegel zuging. Und dann berichtet Gerd Schneider von seinem Kreuzberg. Von dem Kiez, der beim Bombenangriff am 3. Februar 1945 in Schutt und Asche versank. Schwärmt vom Moritzplatz mit dem TAM, dem großen Kino. Fabuliert von der „Grauen Laus“, der Kneipe in der Wassertorstraße, wo morgens die Möbelpacker auf der Suche nach Arbeit warteten. Wer keine bekam, blieb da und trank. Und wenn der Moment gekommen ist, holt er die Plastiktüte hervor, in der er die Autogrammkarten der Ufa-Stars aufbewahrt, die er in den Kriegsjahren sammelte.

Der Kiez um Prinzen- und Ritterstraße, in dem Gerd Schneider aufwuchs und sein Vater mit Briefbögen und Rechnungsblöcken sein Geld verdiente, war vor dem Krieg das Exportviertel, die „Goldene Meile“ – so bekannt wie heute der Ku’damm. Bomben, Insellage und Mauer machten dem ein Ende. Nach 1989 zogen die letzten größeren Betriebe ins Umland. Gerd Schneider hat alle gehen sehen. Jetzt macht er das Licht aus.

Druckerei Otto Schneider, Ritterstraße 12, Tel. 6 14 71 77. Öffnungszeiten: jeden Freitag 11 – 16 Uhr