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Archiv-Artikel

An Gottes Geländer entlang

Susanne Osthoff ist nur ein prominentes Beispiel: Allein im vergangenen Jahr sind mehr als 1.000 Deutsche zum Islam konvertiert, mehrheitlich waren es Frauen. Manche von ihnen versuchen so, ihre Eigenverantwortung zu reduzieren

„Wer sein Leben komplett umkrempelt, tut das nicht ohne Grund. Eine Konversion erfolgt oft in krisenhaften Prozessen“„Manche Frauen konvertieren nur formal. Im Prinzip nichts anderes, als wenn ein Mann wegen der Partnerin einen Tanzkurs macht“

VON KERSTIN SPECKNER

„Sie erkennen mich dann schon“, hatte Aischa vor dem ersten Treffen geschrieben. Sie hatte Recht, selbst an der belebten Haltestelle erkennt man sie sofort: Sie trägt einen bodenlangen, braunen Mantel, darüber eine Jacke. Ihr Haar verhüllt sie mit einem großen, dunkelblauen Kopftuch. Ihr blasses Gesicht mit den Sommersprossen und den hellen Augenbrauen lassen ahnen, dass sie unter dem Tuch blonde Haare hat. Aischa hieß nicht schon immer Aischa. Den arabischen Namen trägt sie erst, seitdem sie zum Islam konvertiert ist.

Aischa ist damit nicht allein. Im vergangenen Jahr sind laut deutschem Islam-Archiv mehr als 1.000 Deutsche zum Islam konvertiert – 62 Prozent davon Frauen. Viele von ihnen sind, wie Aischa, junge Akademikerinnen, die offensiv auftreten, gut über ihre Religion informiert sind und scheinbar dankend auf ein Leben in westlicher Freiheit verzichten. In der Öffentlichkeit werden sie als lebensängstlich belächelt, als Schleiereulen beschimpft oder komplett ignoriert. Nur in wenigen Berufen können sie problemlos mit Kopftuch arbeiten. Warum tut frau sich so etwas freiwillig an? Oder bietet der Islam eine Möglichkeit das eigene Leben im westlichen Kulturkreis zu bewältigen?

Für Monika Wohlrab-Sahr, Religionswissenschaftlerin an der Universität Leipzig ist eine Konversion oft eine Strategie, um persönliche Probleme zu lösen: „Streng auslegbare Religionen wie der Islam oder der Katholizismus bieten sich da einfach an.“ Klare Regeln können das Leben strukturieren und ihm einen Sinn geben. Ein Geländer, an dem sich von Modernisierung und Freiheit überforderte Menschen entlang hangeln können.

„Wer sein Leben komplett umkrempelt, tut das nicht ohne Grund. Eine Konversion erfolgt oft in krisenhaften Prozessen. Etwa wenn sich jemand aus einer Beziehung lösen möchte oder sich im Beruf erfolglos fühlt“, sagt Wohlrab-Sahr. „Manche probieren mehrere Religionen aus bevor sie – oft über Freunde – beim Islam ankommen.“

Häufig ist es aber auch der Partner, über den Frauen zum Islam kommen. Und der muss noch nicht einmal besonders fromm sein. Die 26-jährige Maryam ist mit einem Marokkaner verheiratet. „Ich bin aber nicht von meinem Mann zur Konversion gezwungen worden“, betont sie, „zum Islam bin ich gekommen, weil ich im Christentum Fragen hatte, auf die ich keine Antworten bekam, zum Beispiel eine zufriedenstellende Begründung der Dreifaltigkeit.“

Von Neukonvertierten, die gleich mit strengsten Anforderungen an sich und andere einsteigen, hält sie nicht viel: „Die versuchen dann, den Islam 150-prozentig zu leben, um ihre Probleme zu lösen. Wenn sie dann merken, dass es nicht funktioniert, wenden sie sich wieder ab und werden oft zu Islamhassern.“

Mit einem Muslim verheiratet zu sein, bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass frau auch konvertiert. „Manche Frauen konvertieren nur formal, um es der Familie des Partners recht zu machen oder um eine gemeinsame Grundlage für die Beziehung zu schaffen. Im Prinzip ist das nichts anderes, als wenn ein Mann plötzlich wegen der Partnerin einen Tanzkurs macht“, sagt Wohlrab-Sahr.

Dass es auch ganz anders geht, erklärt Silvia Horsch vom Deutschsprachigen Muslimkreis Berlin (DMK), selbst Konvertitin: „Eine solche Strenge ist absolut kein Zwang. Oft gibt es zu einer Frage mehrere Antworten. Ein guter Religionsgelehrter weist auf diese Alternativen auch hin. Für viele Neulinge ist allein schon das regelmäßige Beten schwierig. Ihre Konversion ist ein langer Prozess“, sagt Horsch, „nur werden die in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, weil nur ihr engster Umkreis davon weiß. Präsent sind hingegen diejenigen, die offensiv auftreten und durch ihr Sendungsbewusstsein im Mittelpunkt stehen.“

Um Aufmerksamkeit zu erregen, eignen sich einige Aspekte des Islams definitiv. Auffallende Kleidung, etwa der schwarze Ganzkörperschleier, kann ausdrücken: „Ich bin anders. Ich bin etwas Besonderes.“ Ambivalente Symbole wie das Kopftuch verstärken diesen Effekt. Dadurch verfehlt das Kopftuch oft seinen Zweck: Eine bedeckte Frau soll Männern eigentlich weniger auffallen und sich auch nicht ständig an Schönheitsidealen messen lassen müssen.

Für Maryam hat das Tragen des Kopftuchs trotzdem vor allem Vorteile: „Die Männer gehen anders mit mir um. Es hilft mir Distanz zu waren und nicht belästigt zu werden. Die Wirkung von Haaren und Hals auf das Gegenüber darf man nicht unterschätzen. Schließlich fällt auch sofort auf, wenn man da nicht gewaschen ist.“

Unangenehm ist das ständige Auffallen für Aischa: „Mindestens einmal am Tag hört man etwas. Manchmal sehr Verletzendes.“ Neulich bekam sie nach einem gemeinsamen Shoppingbummel mit nichtmuslimischen Freunden sogar die Rückmeldung, dass diese sich aufgrund ihrer Anwesenheit in den Geschäften unfreundlicher behandelt fühlten als sonst.

Freunde und Familien sind über den neuen Lebenswandel nicht immer begeistert. Aischas Bruder fragte sie, warum sie sich mit dem Kopftuch das Leben versauen würde. „Vor dem Outing haben viele Angst“, sagt Horsch, „Menschen, die man für tolerant hielt, sind oft entsetzt. Und diejenigen, deren Reaktion man am meisten fürchtete, reagieren oft ganz locker.“ Aber auch innere Konflikte plagen die Konvertierten. „Gerade am Anfang ist es hart“, erzählt Aischa, „man ist unsicher und verletzbar.“ Problematisch wird es wenn Neukonvertierte auf besonders strenge GlaubensgenossInnen treffen. „Entweder man wird dann genauso extrem wie die oder man ist so abgeschreckt, dass man es ganz lässt“, sagt Aischa.

Vereinzelte Moralisten versuchen der Glaubensgemeinde das Leben schwer zu machen, indem sie sich in sozialer Kontrolle üben. Wer sein Sendungsbewusstsein so richtig ausleben möchte, ist in einem Internetforum gut aufgehoben: Hinter arabischen Pseudonymen sind viele solcher Hardliner aktiv und versuchen, andere zu beeinflussen.

Maryam hat selbst vor einigen Jahren ein Forum gegründet. „Da schaue ich aber kaum noch rein, weil ständig Leute schreiben, die glauben, sie müssten den anderen vorschreiben, wie sie ihre Religion zu leben haben. Es reicht nicht, nur zu konvertieren, man muss sich ständig mit der Religion beschäftigen.“ Dass dies besonders Frauen gern tun, ist für Wohlrab-Sahr typisch: „In Deutschland sind Frauen die Trägerinnen der Religion, auch in den Kirchen, wo sie die Mehrheit des Publikums bilden. Manche Konvertitin begeistert ihren muslimischen Mann neu für seine Religion.“

Aber wie findet man einen Mann, wenn man erst einmal konvertiert ist? Viele der studierenden Konvertitinnen lernen ihre Ehemänner an der Universität oder beim Auslandsaufenthalt kennen. Es geht aber auch anders: über Freunde oder das Internet. Muss es auch, denn wenn sich die Konvertitin für besondere Strenge entscheidet, dann fallen einige Orte des Kennenlernens automatisch weg: Partys, Kneipen oder Diskos. Eingeschränkt wird bei der vermittelten Ehe die eigene Verantwortung und Initiative. „Im Islam heißt es: wenn Mann und Frau allein sind, ist der Teufel als Dritter dabei“, erklärt Aischa. Sie hat ihren Exmann über Freunde kennen gelernt. Sex vor der Ehe kam nicht in Frage. „Da hätten wir vorher auch islamisch heiraten können, das ist formal einfach.“ Vor ihrer Konversion hatte sie keine sexuellen Beziehungen. „Das war nicht geplant. Ich war wohl zu anspruchsvoll. Jetzt bin ich natürlich froh darüber.“ „Ziel des Kennenlernens ist immer die Ehe“, erklärt Horsch. „Wenn man das weiß, sortiert man viel schneller aus“, sagt auch Aischa. Für die Regeln beim Kennenlernen ist die eigene Interpretation ausschlaggebend: Die einen treffen sich vor der Heirat gar nicht zu zweit, die anderen verlegen ihre Dates etwa in Cafés, um eine erotische Stimmung von vornherein auszuschließen.

Religion als Geländer: Mittels selbst gewählter Strenge lassen sich bestimmte Problemfelder des westlichen Alltags wie die Partnersuche, ein nicht eindeutig festgelegtes Rollenverständnis oder Alkoholismus umgehen oder vereinfachen. Die Eigenverantwortung kann so – wenn frau es möchte – auf ein Minimum reduziert werden. Die Nachteile des freiwilligen Außenseitertums lassen sich allerdings auf Dauer nur bewältigen, wenn hinter der Konversion eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Inhalten stattfindet und frau auch wirklich glaubt: Religiosität ist kein Therapieersatz.