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Archiv-Artikel

Käpt‘n Blaubär geht auf Reisen

Unglaublich, aber nicht gelogen: Die Erlebnisse des Reinhold Kasten, erzählt von diesem selbst. Es treten auf: eine blonde Schönheit und der Gorilla Matze, ein zahmer Jaguar an Bord, ein freundlicher Südseehäuptling und die Inseln „Mady“ und Reinhold“, die durch eine Brücke verbunden sind

von Yasemin Ergin

„Willkommen an Bord!“, sagt Reinhold Kasten. „Schauen Sie sich ruhig um. Sie können schreiben, dass sie den alten Kapitän in seiner Kapitänssuite besucht haben und dass er in seiner eigenen, kleinen Wunderwelt lebt.“

In welcher Küstenstadt Kasten mit Ehefrau Mady wohnt, möchte er lieber nicht geschrieben sehen, schließlich lebe man heutzutage „in einer Banditenwelt“. Wenn man sich umschaut in der kleinen, lauschigen Wohnung, kann man die Angst ein bisschen verstehen: sie ist bis in die letzte Ecke vollgestellt mit Erinnerungsstücken. Goldene und geschnitzte Buddhafiguren im Wohnzimmer, kaum ein Quadratzentimeter, der nicht dekoriert ist mit Bildern und Kunstgegenständen aus Asien, Afrika, der Südsee, dazwischen hängen vergrößerte Fotos des Ehepaars, aufgenommen auf vielen Seefahrten.

1934, im zarten Alter von 14 Jahren, heuerte Kasten das erste Mal auf einem Schiff an. Zwar sei er auf dieser Reise, die ihn nach Chile und um das berüchtigte Kap Horn führte, das erste und – wie er betont – das letzte Mal seekrank geworden und hätte deshalb beinahe das Handtuch geworfen. Gleichzeitig aber packte ihn die Reise- und Sammellust. In 56 Jahren will Kasten 42-mal die Welt umfahren und dabei vier Schiffsuntergänge überlebt haben. Fast 50 Jahre war seine Frau Mady dabei, die er kurz nach dem zweiten Weltkrieg in New York kennen lernte, wo die gebürtige Hannoveranerin als Tänzerin auftrat. „Meine Frau ist seefest wie ein alter Seebär. Sie hat alle Orkane, Taifune, Hurrikane öfters mitgemacht.“

Der freundliche, alte Herr, der da in seinem Wohnzimmer sitzt, mit Fotos und Dokumenten hantiert und dabei Erinnerungen sortiert, scheint auf den ersten Blick nicht mehr viel gemeinsam zu haben mit dem vollbärtigen, stattlichen Abenteuerer, der verwegen von zahlreichen Fotos lächelt und mit Bordjaguar, Südseebewohnern oder seiner schönen blonden Frau posiert. Nur das maritime Blau seiner Krawatte und die Krawattennadel in Form eines Segelschiffes verraten den alten Seefahrer. Doch wenn er erzählt, wird er lebhaft, seine Augen blitzen, so wie sie es auf den alten Fotos tun. Er gestikuliert, stupst sein Gegenüber an, kramt Bilder aus einem Stapel: „Sehen Sie, so ein Foto bekommen Sie heute nirgendwo mehr auf der Welt.“

Tausende von Souvernirs hat Kasten auf seinen Reisen gesammelt – Dokumente einer Zeit, in der die Ausfuhr- und Zollbestimmungen noch nicht so streng waren. Seine Reisen führten den Seefahrer mit Persönlichkeiten zusammen wie dem legendären Meereskundler Jacques Cousteau – „auch einer der letzten echten Abenteurer dieser Erde“. Der berühmte Urwalddoktor Albert Schweitzer habe ihm seinen Tropenhelm für die Sammlung geschenkt. Und der deutsche Tarzan-Darsteller Johnny Weissmüller übergab Käpt‘n Kasten nach dem Tod seines Hausschimpansen dessen ausgestopfte Überreste.

Ein herzliches Verhältnis hatten die Kastens auch zu dem Fernseh-Zoologen Bernhard Grzimek. Dem vertrauten sie ihren ganz besonderen Liebling an: Gorilla Matze. Als kleines Gorillababy sei dieser seiner Frau im Kongo in die Arme gelaufen, kurz bevor er von affenfressenden Eingeborenen verspeist werden sollte, berichtet Reinhold Kasten. Auf einem Schwarzweißfoto an der Wand posiert die elegante blonde Frau in inniger Umarmung mit dem riesigen Affen. Das Tier wuchs bei dem Ehepaar auf und lebte zehn Jahre lang mit ihnen auf einem Schiff, in einer eigenen Kabine. Mady Kasten habe anfangs neben ihm gelegen, weil er so klein und ängstlich gewesen sei. Doch mit den Jahren wurde Matze groß, stark – und geschlechtsreif. „Mein Gorilla war immer so eifersüchtig, das können Sie schreiben. Wenn ich meine Frau in den Arm genommen habe, wurde er wütend und hat sich auf die Hinterfüße gestellt und sich auf die Brust getrommelt und da hab ich schon mal geträumt, dass ich von ihm zerfetzt wurde.“ Am Ende mussten sie ihn weggeben. Der Frankfurter Zoo, in dem Bernhard Grzimek Direktor war, freute sich über einen zahmen, menschengewöhnten Gorilla. Dort lebe er heute noch.

Matze war nicht das einzige ungewöhnliche Haustier. In Brasilien bekam Kasten einmal von „Indianerkindern“ ein Jaguarbaby, im Tausch gegen Lübecker Marzipan und ein paar bunte Hemden. Sechs Jahre lang habe der Jaguar wie ein „Bordhund“ auf dem Schiff gelebt, erzählt Kasten. Im südchinesischen Meer habe er sogar einmal Seepiraten in die Flucht geschlagen. Der reine Anblick des an der Reling lehnenden Raubtiers habe genügt, die Angreifer zu vertreiben, erinnert sich Kasten wehmütig: „Das ist lange her, heute haben die Piraten ja richtige Waffen, da würde ein Jaguar vielleicht nicht mehr so viel ausrichten ...“

Gefährliche Situationen habe es in all den Jahren natürlich immer wieder gegeben. Im Hochland von Neu-Guinea, da wo es „noch ganz versteckt Kannibalismus gibt“, sei er mal mit einer Forschergruppe aus den USA unterwegs gewesen. „Auf einmal sahen wir ein Lagerfeuer, und es roch ganz süßlich und da haben wir es schon mit der Angst bekommen. Da haben wir gedacht, hier wird was gebraten.“ Was auf dem Feuer briet, sah aus wie eine Menschenhand. „Der eine knabberte an der Hand, der andere an einem anderen Körperteil, das war kein schöner Anblick.“ Als seine Begleiter gerade schon zu den Waffen greifen wollten, habe er, Kasten, die angespannte Stimmung entschärft. Er zog sein Hemd aus, stellte sich vor den Häuptling und präsentierte stolz seine Seefahrer-Tätowierungen. „Fauchender Tiger und fauchender Jaguar auf Bauch und Rücken, das hat sie beeindruckt, der Häuptling murmelte irgendwas in seinen Bart und dann haben sie mich sogar in den Arm genommen, sie dachten, ich wäre ein weißer Häuptling.“

Während Reinhold Kasten erzählt, hält sich seine Frau lieber etwas im Hintergrund. Wenn es nach ihr ginge, wären die alten Geschichten kaum noch der Rede wert, „das brauchen sie ja nicht zu schreiben, das ist doch schon viel zu lange her“, sagt sie oft. Hin und wieder korrigiert sie ihren Mann behutsam, wenn er Zeit und Ort von Geschehnissen durcheinander bringt. Meistens aber sind sie sich einig – besonders wenn es um ihren gemeinsamen Lieblingsort geht: „Unsere zweite Heimat ist die gesamte Südsee.“

Und das kam so: Als Reinhold Kasten einmal in der Nähe der Fidschi-Inseln bei einem schweren Taifun Schiffbruch erlitt – „zum Glück war Mady da nicht bei“ – wurden er und nur sieben weitere Männer der 47-köpfigen Besatzung von Fischern gerettet. Diese gehörten zum Stamm von Sulumu, Häuptling auf einer der Tonga-Inseln. Zwischen König Sulumu und dem Seefahrer entstand eine innige Freundschaft. Zum Abschied habe der König ihm eine seiner Töchter schenken wollen, aber da habe er dankend abgelehnt – und durfte sich stattdessen eine Insel aussuchen. Das circa 300 Quadratmeter große Eiland taufte er „Mady-Insel“. Jahre später, bei einem der vielen Besuche, die Reinhold und Mady Kasten König Sulumu abstatteten, schenkte dieser ihnen eine zweite Insel. Sie erhielt den Namen „Reinhold“. Eine Brücke verbindet seither die beiden kleinen Inseln.

„Die Völker sind uns alle angenehm in ihrer Art“, sagt Kasten. Sein Wahlspruch sei deshalb: „Mein Feld ist die ganze Welt“. Er krempelt den Ärmel hoch und deutet auf eine eintätowierte Buchstabenreihe. Nur mit Mühe lassen sich die verschwommenen Buchstaben entziffern, aber mit Nachdruck wiederholt er die Worte. „Das können sie als Überschrift nehmen, Sie brauchen ja einen Aufhänger.“

Auch neben dem Bett, eingraviert in eine Silbertafel, ist das Motto zu lesen. Die Tafel steht auf dem Nachttisch – direkt neben einem Globus.