: Doktoren ohne Chancen
DIE SPANIERIN Natal Kanaan hat einen Job. In ihrem Umfeld ist sie damit eine Ausnahme
■ Walpurgisnacht: Ab 15 Uhr Kundgebung gegen steigende Mieten im Wedding am Bahnhof Gesundbrunnen, 20.30 Uhr Demo von dort. Parallel: 17 Uhr Demo vom Bahnhof Schöneweide gegen Neonaziläden, danach Konzert.
■ 1. Mai: Der DGB zieht um 10 Uhr vom Hackeschen Markt zum Brandenburger Tor, per pedes, auf Fahr- und Motorrad. Auch um 10 Uhr treffen sich Neonazigegner am Bahnhof Schöneweide, um einen dortigen NPD-Aufmarsch zu blockieren. In Kreuzberg wird ab 13 Uhr Myfest gefeiert. Wie immer um 18 Uhr startet die Revolutionäre 1. Mai Demo, diesmal vom Spreewaldplatz bis Unter den Linden. (taz)
Direkt vors Brandenburger Tor hat sich Natal Kanaan an diesem April-Sonntag gestellt, zusammen mit 50 anderen Exilspaniern. „Das System ist verrostet“, ruft ein Lockenkopf ins Megafon. Kanaan applaudiert, aber ihre Augenbrauen sind zusammengezogen, ihr Blick ist ernst. Mit einer Hand umklammert die junge Frau mit den langen dunklen Haaren ein braunes Pappschild: „Doktor in Chemie. Null Chancen in Spanien.“ Mit der zweiten hält sie das große, weiße Protestbanner: „No nos vamos, nos echan.“ Wir gehen nicht, wir werden rausgeschmissen. Eine Anklage. Und auch Kanaans Geschichte.
Im letzten Oktober zieht die 33-Jährige nach Berlin. Kanaan schwärmt, wenn sie von Reisen während ihres Chemiestudiums erzählt. England, Kanada. Nach ihrer Promotion aber sucht sie einen Job im spanischen Castellón, ihrer Heimatstadt, im benachbarten Valencia, in Barcelona – nichts. Ein Viertel der Menschen in ihrem Land ist da arbeitslos. Sie guckt über die Landesgrenze, bewirbt sich schließlich als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der FU Berlin. Sie bekommt die Stelle. Und geht.
Gut 4.000 Spanier kamen allein 2012 nach Berlin. Aus keinem südeuropäischen Land reisen mehr Menschen in die Stadt. Kanaan, die eigentlich so ruhige Frau, gehört in Spanien zu den jungen Empörten, von der Krise politisiert, die zu Massen eine „echte Demokratie“ forderten und Plätze besetzten. „Jede Woche“, klagt Kanaan, „taucht ein neuer Korruptionsfall auf.“ Ihr Land brauche einen Neustart, „einen grundsätzlichen“.
Sie könnte sich jetzt zurücklehnen, anders als viele Krisenflüchtlinge hat sie einen Job. Aber Kanaan lässt die Krise nicht los. In Berlin trifft sie Gleichgesinnte: junge Spanier, die 2011 die Gruppe 15M gegründet haben, nach dem ersten Tag ihres Aufstands in Spanien, dem 15. Mai 2011. Die 25 Aktiven treffen sich alle zwei Wochen, bereiten Vorträge über Zwangsräumungen in Spanien vor, schließen sich Berliner Mieten-Demos an, organisieren Kundgebungen.
Kanaan hat für die Treffen gerade keine Zeit, sie ist mit ihrem FU-Job voll eingespannt. „Wenn wir schweigen, wird es keine Veränderung geben“, sagt sie. Nur so könne man die spanische Regierung zwingen, Rettungsgelder in Menschen statt Banken zu investieren. Und die deutsche, in der EU-Krise nicht nur an sich zu denken. „Die Spanier können nicht noch mehr sparen.“
Kämpferische Sätze für eine, die Politik lange nur am Rande verfolgte. Der Arbeitertag hat für Kanaan keine besondere Bedeutung. Sie wird am 1. Mai in der Heimat sein, in Castellón. Zwei Wochen später aber rufen die spanischen Empörten wieder zu landesweiten Protesten: gegen neue Sozialkürzungen, gegen Privatisierungen. Kanaan wird wird dabei sein. KONRAD LITSCHKO