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Archiv-Artikel

Unter der Schlackenkruste

GEISTIGE ELITE Wolfgang Martynkewicz legt eine Studie über den Münchner Salon Bruckmann vor, wo sich zwischen 1900 und 1945 Dichter und Henker trafen

Er las Gedichte von Hölderlin und wurde ein Jünger Stefan Georges. Später war er überzeugter Krieger gegen den „Bolschewismus“. Erst als unübersehbar wurde, dass der Vernichtungskrieg im Osten nicht mehr zu gewinnen war, entschied sich Claus Graf Schenk von Stauffenberg zum Widerstand. Nicht ohne bis zum Schluss seiner elitären Gesinnung treu zu bleiben.

Ist es da noch ein Skandalon, dass Teile der kulturellen Elite bei Aufstieg und Herrschaft des Nationalsozialismus mit von der Partie waren? Für Wolfgang Martynkewicz schon. Der Ort, wo für ihn „der Geist zum Komplizen der Macht“ wurde, ist der Salon Bruckmann. Elsa Bruckmann, Gattin des Verlegers Hugo Bruckmann, führte ihn in ihrer Münchner Wohnung am Karolinenplatz 5. Eröffnet wurde er 1899 mit einem Vortrag von keinem Geringeren als Houston Stewart Chamberlain, dem Autor der überaus erfolgreichen „Grundlagen des 19. Jahrhunderts“, die später zu einem Standardwerk des Antisemitismus wurden. Im Salon verkehrten zu seiner Glanzzeit Leute wie Hugo von Hofmannsthal, Rainer Maria Rilke, Harry Graf Kessler, Stefan George oder Karl Wolfskehl.

Norbert von Hellingrath, Elsa Bruckmanns Lieblingsneffe, stellte 1915, schon in Uniform, seine Wiederentdeckung Hölderlins im Salon vor. Über editorische Pionierarbeit hinausgehend, machte er Hölderlin zum Seher in unsicherer Zeit: Er erklärte die Deutschen zum „Volk Hölderlins“, „weil es zutiefst im deutschen Wesen liegt, dass sein innerster Glutkern unendlich weit unter der Schlackenkruste nur in einem geheimen Deutschland zutage tritt“. Bei anderen Vorträgen im Salon treffen wir den „neuen Menschen“ als „Leitstern“ (Hermann von Keyserling), den „großen Menschen“, „dessen Ich die Kraft hat, sich anderen Ichs aufzudrücken (Kessler), die Verteidigung der Klassik als das Mustergültige, Vollendete, Gesunde gegen den alles nivellierenden Zeitgeist (Wölfflin) oder den „Kulturheiland, der die kranke Menschheit durch seine Ganzheit heilt“.

Die Geburt des Führers aus dem Geist der Kultur – der Gedanke war keineswegs die direkte Vorwegnahme „des Führers“. Aber der übersteigerte Hunger nach Persönlichkeit war das Feld, auf dem ein Adolf Hitler später wachsen konnte.

Die schiere Fülle der Belege, die Martynkewicz ausbreitet, lässt einen erschrecken – aber irgendwann auch die Lust am Lesen verlieren. Dass Hitler ab Ende 1924, drei Tage nach seiner Entlassung aus dem Landsberger Gefängnis, selbst zu einem gern gesehenen Gast bei Elsa Bruckmann wurde, überrascht nicht mehr wirklich. Er kam in Trenchcoat, mit Velourhut, Reitpeitsche und Revolver im Gürtel und hatte hier seinen ersten Auftritt vor einem bildungsbürgerlichen Publikum. Gerade durch seine Selbstgewissheit und die inszenierte Echtheit des „Barbaren“ machte er Eindruck.

Das Klima im Salon trübte sich schon während des Kriegs, weg von Toleranz und Zwanglosigkeit, hin zu Haltung und Gesinnung. Elsa Bruckmann wurde zu einer glühenden Verehrerin Hitlers und zusammen mit ihrem Mann zu einer frühen Förderin der NSDAP. Und auch München hatte sich nach Weltkrieg und Räterepublik gewandelt. 1926 musste Thomas Mann, der Wahlmünchner, feststellen, dass seine Stadt mittlerweile „als Hort der Reaktion, als Sitz aller Verstocktheit und Widerspenstigkeit gegen den Willen der Zeit verschrien war“. Martynkewiczs Buch suggeriert eine Kontinuität des Salons, die über 40 Jahre lang vom gastgebenden Ehepaar gedeckt wird. In der Tat lernte Hitler im Salon Bruckmann alle bedeutenden Männer der nationalen Kreise Münchens kennen, wie er später erzählte. Doch einem Rainer Maria Rilke, einem Stefan George oder einem Thomas Mann begegnete er nicht. Sie verkehrten nicht mehr im Salon Bruckmann. STEFAN MAHLKE

Wolfgang Martynkewicz: „Salon Deutschland. Geist und Macht 1900–1945“. Aufbau, Berlin 2009, 617 Seiten, 26,90 Euro