: „Liebe und Solidarität sichtbar machen“
KISS-IN In Berlin gibt es nicht weniger homophobe Gewalt als anderswo, sagt Bastian Finke vom Projekt Maneo – aber es wird offener darüber gesprochen. Gegen hartnäckige Vorurteile wird am kommenden Freitag angeküsst
■ 53, ist Leiter des schwulen Antigewaltprojekts „Maneo“. Die Organisation betreibt unter anderem das Überfalltelefon für von homophober Gewalt Betroffene.
INTERVIEW NINA APIN
taz: Herr Finke, am 17. Mai wird der Tag gegen Homophobie und Transphobie begangen. Das Datum erinnert daran, dass die Weltgesundheitsorganisation 1990 die „Krankheit“ Homosexualität abschaffte. Wie gut oder schlecht geht es homosexuellen und Trans-BerlinerInnen heute?
Bastian Finke: Auf politischer Ebene wurde sehr viel erreicht. Aber echte Gleichberechtigung gibt es erst, wenn sie auch im Alltag gelebt wird. Und damit haben viele Menschen noch Schwierigkeiten. Lesben, Schwule und Trans sind nach wie vor Vorurteilen ausgesetzt. Sichtbar gelebte Homosexualität ist nach wie vor ein Problem für viele. Die letzte Heitmeyer-Studie „Deutsche Zustände“ von 2011 weist aus, dass über 25 Prozent der Deutschen es eklig finden, wenn sich Homosexuelle öffentlich küssen.
Berlin mit seinem Schöneberger Regenbogen-Kiez, dem CSD und seinem schwulen Bürgermeister gilt als tolerante Stadt. Ist das nur ein Wunschbild?
Leider noch immer ja, wie die vielen Meldungen bei Maneo zeigen. Die Palette reicht vom Mobbing am Arbeitsplatz bis zur gewalttätigen Einschüchterung in der Familie, vom Angespucktwerden in der U-Bahn bis zum Faustschlag auf offener Straße. In Berlin gibt es nicht mehr Vorfälle dieser Art als in anderen Städten, es werden mit den Jahren aber auch nicht weniger. Der Unterschied ist aber, dass man in unserer Stadt offener über Homophobie spricht. Es gibt viel Aufmerksamkeit für das Thema, man bemüht sich um Aufklärung – das ist nicht überall selbstverständlich.
Sie wollen am 17. Mai für Aufmerksamkeit sorgen mit einem „Kiss-in“ an zwei zentralen Orten der Stadt. Küssen gegen Vorurteile, wie funktioniert das?
Wir rufen sowohl Homosexuelle als auch Heterosexuelle dazu auf, sich am Theodor-Heuss-Platz und auf dem Alexanderplatz zu küssen – so lange, wie sie nur können. An beiden Orten fanden in der letzten Zeit teils schwere Übergriffe statt. Daran wollen wir erinnern. Und wir wollen mit dem öffentlichen Küssen auch sichtbar machen, wie viel Liebe und Solidarität Schwule, Lesben und Trans von ihren Familien erfahren. Eltern, die sich offen vor ihre Kinder stellen, Geschwister, die sich solidarisch zeigen, sind oft selbst Anfeindungen ausgesetzt. Die Mutter, hinter deren Rücken im Betrieb geredet wird, den Vater, den die Kollegen meiden, den Sohn aus einer Zuzugsfamilie, dem nahegelegt wird, seine lesbische Schwester besser zu verheimlichen: Wir wollen sie und uns bestärken.
An wen können sich Angehörige wenden, die selbst Beistand brauchen?
■ Unter dem Motto „protect every kiss!“ lädt Maneo seit 2007 immer am 17. Mai zum „Kussmarathon“. Dabei suchen die AktivistInnen symbolische Orte auf, die für sich offen zeigende Schwule, Lesben und Transgender „kein leichtes Pflaster“ sind. Kommen und mitküssen darf übrigens jede(r). Diesmal gibt es gleich zwei öffentliche Kiss-ins: auf dem Theodor-Heuss-Platz um 17 Uhr und auf dem Alex (Ecke Rathausstraße) um 18 Uhr.
■ Als Internationaler Tag gegen Homophobie wird der 17. Mai gefeiert, seit an diesem Tag im Jahr 1990 die Generalversammlung der WHO endlich beschloss, Homosexualität von der Liste psychischer Krankheiten zu streichen.
In Deutschland gibt es vereinzelte Selbsthilfegruppen, aber keine zentrale Organisation von Angehörigen. In den USA ist das anders, dort ist PFlag, die „Parents, Family and Friends of Lesbians and Gays“ eine mächtige Organisation. Wir wollen das auch hierzulande thematisieren. Wir nutzen den 17. Mai, um einmal auf die Situation der Angehörigen und Freunde hinzuweisen.
Sie schicken auch den „Maneo-Kussbären“ ins Rennen. Die Pappmascheefigur soll von den Berlinern beküsst werden. Dazu gibt es „Regenbogenkuchen“. Ist das nicht Kindergeburtstag?
Nein, das ist Kommunikation. Wir wollen mit möglichst vielen Menschen ins Gespräch kommen, ganz ohne einen belehrenden oder anklagenden Unterton. Der Bär ist dafür sehr geeignet: Er soll von 1.000 Berlinern beküsst und dann nach Paris gebracht werden: 1.000 kisses, from Berlin with love. Damit gratulieren wir den Franzosen, die das Adoptionsrecht und die gleichberechtigte Ehe für alle erreicht haben. Das wollen wir hier auch erreichen – und darüber haben wir bereits während unserer jüngsten nächtlichen Vor-Ort-Aktionen mit mehr als 2.000 Menschen gesprochen. Der Bär weckt Neugier und bringt ein ernstes Thema auf spielerische Weise unter die Leute. Genauso ist es mit den Kuchen: die Resonanz der Hotels und Cafés, die für uns backen wollen, hat uns umgehauen.