: „In Osnabrück habe ich Blut gepisst“
FERNSEHEN Als junger Schauspieler hatte Rainer Hunold Selbstzweifel wegen seiner stattlichen Figur. Heute hat er sich akzeptiert
■ Die Person: Rainer Hunold wurde 1949 in Braunschweig geboren. Ein Studium der Kunstpädagogik und Germanistik brach er ab und kam 1975 für seine Schauspielausbildung nach Berlin. Sein erster Durchbruch war der ZDF-Mehrteiler „Ein Mann will nach oben“.
■ Die Rollen: Bekannt wurde Hunold als Seriendarsteller. Von 1988 bis 1997 war er 90 Folgen lang der Strafverteidiger Rainer Franck im ZDF-Krimi „Ein Fall für zwei“. Danach spielte er bis 2004 die Hauptrolle in „Dr. Sommerfeld – Neues vom Bülowbogen“ in der ARD.
■ Das Buch: Im September 2009 veröffentlichte Hunold mit „Ich bin nun mal dick. Ein Wohlfühlbuch“ ein Bekenntnis zur Körperfülle.
INTERVIEW DAVID DENK
taz: Herr Hunold, warum verlassen sich öffentlich-rechtliche Sender bei Serien immer wieder auf Sie als Zugpferd: „Ein Fall für zwei“, „Dr. Sommerfeld – Neues vom Bülowbogen“ und jetzt „Der Staatsanwalt“?
Rainer Hunold: Das hängt mit der Ausstrahlung zusammen, die ich habe. Dafür kann ich nichts. Das können Sie sich auch nicht erarbeiten. Ich bin Projektionsfläche für die Zuschauer, und die Gefühle, die sie auf mich projizieren, sind offensichtlich angenehme. Ich scheine ein Typ zu sein, den man gerne in der Familie hat. Fernsehen generiert ja eine merkwürdige Nähe. Und ganz banal: Ich habe offensichtlich was archetypisch Deutsches an mir, und dieses Aussehen, kombiniert mit deutschen Tugenden wie Zuverlässigkeit, Hilfsbereitschaft, Hilfsbereitschaft, Empathiefähigkeit, führt offensichtlich dazu, dass ich tragbar bin für lang laufende Formate.
Welche Rolle spielt Ihre Physis dabei, dass Sie – salopp gesagt – der gemütliche Dicke sind?
Nun war ich, als ich „Ein Fall für zwei“ gedreht habe, ja noch deutlich schlanker. Aber es fällt schon auf, dass es einige Kollegen gibt, Otti Fischer, Dieter Pfaff, Thomas Thieme, die niemand auf dem Flugzeugsitz neben sich haben möchte, die aber auf dem Bildschirm ungeniert dick sein dürfen. Die breite Schulter zum Anlehnen ist ein Stück Fernseharchitektur.
Haben Sie mal versucht, mit diesem Image zu brechen?
Aber eher erfolglos. Ich habe mal einen Mörder gespielt, mal einen Zuhälter, der seine Frau verprügelt. Es war ein großes Vergnügen, solche Figuren glaubhaft zu spielen, die Publikumsreaktionen aber waren eindeutig.
Stimmt es, dass eine Taxifahrerin Sie dafür gerügt hat?
Ja, die hat zu mir gesagt: „Tun Sie das bitte nie wieder.“ Und daran habe ich mich gehalten. Wenn Sie in einem Sektor unterwegs sind, müssen Sie auch akzeptieren, dass der rechts und links Grenzen hat – auch wenn Arschlöcher für Schauspieler immer interessanter sind als die Helferfiguren, auf die ich abonniert bin. Beim „Staatsanwalt“ habe ich versucht, diese Grenzen ein bisschen anzuknabbern, der Figur mehr Ecken und Kanten zu geben. Bernd Reuther ist knurriger und macht Fehler. Am Ende siegt aber natürlich das Gute. Wir sind schließlich im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.
Als Rechtsanwalt Rainer Franck in „Ein Fall für zwei“ haben Sie nur Unschuldige verteidigt.
Das Erste, was er beim Treffen mit seinem Mandanten in der Untersuchungshaft gesagt hat, war: „Sie müssen mir die Wahrheit sagen, sonst kann ich Sie nicht verteidigen.“ Dieser Satz stand in neun von zehn Büchern – bis ich ihn irgendwann nicht mehr sprechen konnte und wollte. Im nächsten Buch sagte Dr. Franck dann: „Wie soll ich Sie verteidigen, wenn Sie mir nicht die Wahrheit sagen?“ Ich habe erst viel später begriffen, wie wichtig Redundanz für Serien ist. Nehmen Sie „Derrick“ – das war ja im Grunde immer ein und dieselbe Geschichte.
Haben Sie schon mal fürs Privatfernsehen gearbeitet?
Ganz wenig. Ich bin eine öffentlich-rechtliche Nase und deswegen für Privatsender nicht attraktiv.
Es gab keine Angebote?
Nein. Macht aber auch nichts. Wobei ich schon gern mal Nein gesagt hätte. Denn im Serienbereich gab es bei den Privaten nichts, wofür ich gern getauscht hätte.
Haben Sie als Vertreter der „sauberen“ deutschen Serie mal den Wunsch verspürt, in einer „dreckigen“ wie „Kriminaldauerdienst“ mitzuspielen?
Ja, den gab es. Der Mechanismus, der das bislang immer verhindert hat, ist Angst. Die Angst davor, dass eine Figur, die so wunderbar läuft wie Bernd Reuther, dadurch beschädigt wird. Als ich in der Krimireihe „Ein starkes Team“ mal einen Mörder spielen sollte, eine für mich geschriebene Rolle, verhinderten angebliche Terminkollisionen mit dem „Staatsanwalt“-Dreh das letztlich.
Bezweifeln Sie das?
Ich will niemandem etwas unterstellen, aber die Angst ist deutlich spürbar.
In „Ein Fall für zwei“ trägt Ihre Figur auch Ihren Vornamen – sie heißt Rainer Franck. Warum?
Ich habe das damals durchgesetzt, als Hinweis darauf, wie ich den Beruf verstehe: als Mischung aus Realität und Fiktion. Im Fernsehen ist immer sehr viel von der eigenen Persönlichkeit im Spiel. Ich begreife meinen Beruf auch nicht als Kunst, sondern als Handwerk. Wo ich einen großen Strich ziehe und wovor ich einen Heidenrespekt habe, das sind Theaterschauspieler wie Martin Wuttke, die auch im Fernsehen sehr gut funktionieren. Toll. Der ist besser als ich, eindeutig. Im Fernsehen kenne ich inzwischen die Regeln und Tricks, aber diese Dualität würde ich nicht hinkriegen.
Ist das Ihr Ernst? Für einen Schauspieler wäre das eher ungewöhnlich.
Ich kenne meinen Platz und meine Fähigkeiten. Und Wuttke ist eine andere Liga. Aber das ist doch okay.
Sie haben in Ihrem Buch über das Dicksein dem Theater ein Kapitel gewidmet. Wieso?
Weil man mich dort sehr verletzt hat: Am Ende der Ausbildung bekamen wir Besuch von Mitarbeitern der ZBF …
… der Zentralen Bühnen-, Film- und Fernsehvermittlung …
… und die haben mir dann gesagt, dass „einer wie Sie“ besser für andere Rollen geeignet sei als für den Leonce, den ich vorbereitet hatte. Ich musste erst lange überlegen, was damit gemeint ist, nämlich dass ein junger dicker Schauspieler den Leonce nicht spielen darf: Wo bitte steht bei Büchner, dass Leonce ein ätherischer Jüngling zu sein hat?! Da wurde ich zum ersten Mal mit Schubladendenken konfrontiert, musste dann den Ruprecht aus dem „Zerbrochnen Krug“ lernen, Dicken-Standard eben. Ich weiß noch, wie ich in Osnabrück im Hotel stand und Blut gepisst habe. Ich war 28 und verzweifelte an der Frage, was aus mir werden sollte. Den Ruprecht spielen wollte ich jedenfalls nie wieder. Kaum war ich wieder in Berlin, bekam ich die Einladung zum Casting für die Verfilmung von Falladas „Ein Mann will nach oben“ …
… die Ihr Durchbruch werden sollte.
Ich bekam eine der Hauptrollen – mit der Begründung, dass es so einen wie mich ganz lange nicht gegeben hat. Fortan war das Fernsehen natürlich mein Freund. Ich glaube, stolzer war ich nur, als Steven Spielberg mich für „Schindlers Liste“ haben wollte.
Wie bitte?
Ja, aber ich musste absagen, weil wir da noch „Ein Fall für zwei“ gedreht haben. Der Satz „Mr Spielberg want’s you“ war wie Balsam. Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen eitel, aber es war einfach ein tolles Gefühl, dass ich in dieser Liga, die ganz weit weg ist von mir, einmal aufgefallen bin. Das hat mir das Selbstvertrauen gegeben, dass ich in bestimmten Konstellationen schon etwas kann.
Wenn Sie den Beginn Ihrer Karriere mit heute vergleichen: Wie haben sich die Arbeitsbedingungen verändert?
Es hat mit Zeit zu tun. Die eine ist die effektive Anzahl an Drehtagen, die sehr stark zurückgegangen ist. Und noch eine Veränderung: Die Gagen sind rückläufig.
Auch Ihre als Hauptdarsteller?
Wenn ich neu verhandele, bekomme auch ich das zu spüren. „Der Staatsanwalt“ ist deutlich niedriger in der Vergütung, als es „Bülowbogen“ war. Der Wechsel hat mich 10 bis 15 Prozent gekostet, aber ich habe trotzdem keinen Grund, zu klagen.
Sie beklagen des Öfteren einen Qualitätsverlust im deutschen Fernsehen. Wo sehen Sie den genau?
Was die Öffentlich-Rechtlichen angeht, besteht für mich eine ganz große Gefahr im Verlust des eigenen Profils. Als die Privaten auf Sendung gingen, machten sich die Öffentlich-Rechtlichen über deren Programm lustig – und als sie damit erfolgreich wurden, fingen sie an, es zu kopieren. Dieses Hinterherhecheln muss aufhören.
Was müsste passieren, damit die Öffentlich-Rechtlichen diesen Wettlauf aufgeben?
Man müsste akzeptieren, dass die Reichweite sinkt. Aber wie wollen Sie als öffentlich-rechtlicher Sender ihre Daseinsberechtigung verteidigen, wenn Sie mit einer hochklassigen Serie wie „Kriminaldauerdienst“ nur drei Millionen Zuschauer erreichen, RTL mit „Bauer sucht Frau“ aber acht?
Sind die öffentlich-rechtlichen Sender nicht dazu verpflichtet, ihrem Publikum auch Anspruchsvolleres zuzutrauen?
Theoretisch schon. Wir hatten mit dem „Staatsanwalt“ aber auch nur eine Chance. Wenn die erste Folge eine schwache Quote gehabt hätte, wäre die Serie tot gewesen. Früher hat man gesagt: Okay, wir machen jetzt mal sechs, acht Folgen und gucken, wie sich das entwickelt. Und ich glaube, dass sich die Leute an Formate gewöhnen müssen. Wenn die „Lindenstraße“ nach fünf Folgen bewertet worden wäre, würde es die nicht mehr geben. Und jetzt läuft die seit 100 Jahren.
■ „Der Staatsanwalt“. Die letzte Folge der aktuellen Staffel läuft heute um 20.15 Uhr im ZDF