: Mit der Chinesin zum Chinesen
REALITÄTEN Im China-Restaurant ist einiges durcheinander geraten. Die sauer-scharfe Suppe beispielsweise kommt viel zu früh
■ Anfang: Vor dem Zweiten Weltkrieg war Berlin die wohl einzige deutsche Stadt mit einem richtigen China-Restaurant. Erst in den Sechzigern und Siebzigern eröffneten zusehends mehr chinesische Gaststätten. Auf langen Speisekarten boten sie etwa Pekingente „der acht Köstlichkeiten“ an. Einreisegenehmigungen für Köche waren schwer zu bekommen. Manche Wirte warteten monatelang auf ihren Küchenchef.
■ Aufstieg: Mittlerweile haben sich Restaurants mit Namen wie „Beijing Garden“, „Shanghai“ oder „Dynastie“ so sehr durchgesetzt, dass fast jede Kleinstadt eines aufweist. Betrieben werden sie nicht immer von Chinesen. Gar nicht selten stammen Restaurantbetreiber aus anderen asiatischen Ländern – etwa aus Vietnam. Schon in den ersten China-Restaurants in Deutschland fanden sich auch indonesische Einflüsse.
VON KIRSTEN KÜPPERS
Yufeng Huang sitzt im China-Restaurant „China City“ in Berlin, eine dicke Brille im schmalen, blassen Gesicht, 25 Jahre alt. Sie packt ihren Übersetzungscomputer aus. Yufeng stammt aus Peking. Sie will heute keine Fehler machen.
Das „China City“ liegt im Erdgeschoss eines DDR-Plattenbaus an einer breiten Hauptverkehrsstraße. Der Gastraum ist einer jener prunkvollen Paläste mit vergoldeten Drachenköpfen und Lampions, wie es sie nahezu überall in Deutschland gibt. An den Nachbartischen sitzen Rentner in dicken Anoraks, Schneematsch vor weiten Fenstern. Sie bestellen das Tagesmenü für 6 Euro 30: „Sauer-Scharf-Suppe und Schweinefleisch paniert süß-sauer“.
Hauptsache viel
Es ist wohl das Versprechen einer großen Portion billigen Mittagessens, das sie hertreibt, weniger das Interesse an typisch chinesischer Küche. Die Restaurantbetreiber kommen den Einheimischen mit ihrem Geschäftsmodell entgegen: große Portionen, gebraten, mit viel Soße.
Yufeng Huang zieht ihren grauen Apparat heran, eigentlich braucht sie keinen Übersetzungscomputer, kürzlich erst hat sie einen Dolmetscherabschluss in Deutsch gemacht, derzeit ist sie Praktikantin einer Berliner Multimedia-Firma. Aber heute will Yufeng sich so korrekt wie möglich ausdrücken. Als Expertin soll sie herausfinden: Wie ähnlich ist das Essen im „China City“ dem echten, chinesischen?
Sie blättert durch die Speisekarte. Eine Menge scheint durcheinander geraten: Die Sauer-Scharf-Suppe wird in China zum Nachtisch serviert, nicht als Vorspeise. „Um die letzten leeren Stellen im Magen zu füllen“, erklärt Yufeng. Die Dim-Sun-Teigtaschen, die man in China zu jeder Gelegenheit isst, sind auf der Speisekarte kaum zu finden.
Unter „Schweinefleisch süß-sauer“ kann sich Yufeng nichts vorstellen. Erst als die Kellnerin schweigend einen Teller mit frittierten Klumpen in Ananas-Soße auf den Tisch stellt, fällt es ihr ein: „Ach so, das habe ich schon gesehen! Aber meine Mutter würde das nie kochen. Viel zu aufwendig! Keine Zeit.“ Man muss das verstehen. Die chinesische Wirtschaft wächst und wächst. Die Leute haben zu viel zu tun. Chinesen, erzählt Yufeng, kochen kaum zu Hause. Sie essen unterwegs oder mehrmals am Tag kleine Portionen in einem Restaurant. „Hier ein bisschen gebratenes Lamm mit Kreuzkümmel, dort Aubergine mit Paprika und Kartoffeln“, zählt Yufeng auf und schiebt sich mit Stäbchen Reis und Ananas in den Mund.
Auch die Sache mit den Getränken läuft in Deutschland verkehrt. Vor dem Essen hat Yufeng Jasmintee bestellt, zur Mahlzeit selbst nichts. Keine Cola, kein Bier. „Man darf doch nicht die Verdauungssäfte verdünnen.“ Und das viele Glutamat? Immerhin spricht man bei Menschen, die diesen Geschmacksverstärker nicht vertragen, vom „China-Restaurant-Syndrom“. Yufeng versteht nicht. Sie tippt auf ihrem Apparat herum. „Oh ja!“, ruf sie, „Das Essen schmeckt besser damit! Aber es ist nicht gesund.“
VON MARTIN REICHERT
Wer nicht zu Hause essen möchte, ist beim Auswärtsessen nicht unbedingt erpicht auf deutsche Hausmannskost. Man geht lieber mal fremd schlemmen, „zum Griechen“ oder zum „Italiener um die Ecke“.
Oder zum Spanier, Türken, Vietnamesen, Inder, Afrikaner, Kubaner – die Vielfalt internationaler Küche in Deutschland geht längst über Pizza und Döner hinaus. Unsere sonntaz-Autorin Kirsten Küppers, 37, ist schon als Heranwachsende gern zum Chinesen gegangen – am liebsten nach dem Schwimmen. Und schon damals hat sie sich die Frage gestellt, ob die Chinesen in China wirklich essen, was in Deutschland als Originalchinesisch verkauft wird?
Zum Auftakt der sonntaz-Serie „Fremd schlemmen“ geht sie mit einer Chinesin zum Chinesen und erfährt, dass die Chinesin das chinesische Essen in Deutschland eher exotisch findet. Sie lernt etwas über die chinesische Esskultur – und die deutsche aus der Sicht einer Chinesin. In der nächsten Folge geht Kirsten Küppers mit einem Libanesen zum Libanesen. Guten Appetit!
Die süß-kalten Deutschen
Zum Frühstück brät sich Yufeng in ihrer kleinen Hinterhauswohnung lange Nudeln oder einen Brei aus Mehl und Wasser. Danach trinkt sie warme Sojamilch. Abends kocht sie mit Zutaten aus dem Asia-Supermarkt. „Wir Chinesen essen immer warm.“ Kalte Brotscheiben mit kalter Wurst mag sie nicht. Das Schlimmste aber, was Yufeng in Deutschland probiert hat, war italienisch: Mozzarella mit Tomaten. “Verrückt und eklig!“
Die Rentner vom Nachbartisch hängen jetzt satt in den Stühlen. Die gebackenen Bananen mit Honig, das Dessert, kennt Yufeng nicht. „Vielleicht aus Südchina. Da werden mehr süße Sachen gegessen. Wir in Peking mögen es salzig.“ Womöglich trifft die südchinesische Küche den hiesigen Geschmack besser: „Die Deutschen mögen alles sehr süß. Überall Bäckereien mit süßen Kuchen.“
Am Ende hat man das Gefühl, dass China-Restaurants in Deutschland unter ihren Möglichkeiten bleiben. Mehr Suppe zum Nachtisch, mehr Tee, weniger Cola und Bier würden nicht schaden. Yufeng betrachtet ihren Übersetzungsapparat. „Wozu braucht man diese Scheiß-Computer überhaupt?“, flucht einer der Rentner. Yufeng lächelt.