: Muss die EU Griechenland retten?Ja
SCHULDEN Brüssel hat Griechenland an die kurze Leine gelegt. Die Hellenen werden beim Sparen streng überwacht, man hofft auf Selbstrettung. Ob das ausreicht, um das Staatsdefizit auf ein Normalmaß zu senken, ist umstritten
Sven Giegold, 40, ist Mitbegründer von Attac Deutschland und sitzt für die Grünen im EU-Parlament
Wer meint, Griechenland könne seine Schuldensuppe alleine auslöffeln, irrt gewaltig. Sicher, die griechischen Probleme sind vor allem hausgemacht. Trotzdem sitzen alle anderen Euro-Länder mit im Boot. Eine griechische Pleite wäre nur der Vorbote ähnlicher Gefahren in Italien, Portugal und Spanien. Das würde den Euro zugrunde richten ebenso wie das Projekt des europäischen Binnenmarkts. Wir brauchen jetzt also einen Doppelschritt. Einerseits braucht Griechenland Steuererhöhungen und harte Sparanstrengungen. Gleichzeitig jedoch sollte die EU gemeinsame Anleihen herausgeben, um durch das Teilen des Risikos die Zinslasten Griechenlands zu mindern. Das kostet im Erfolgsfall wenig. Zudem würde es den europäischen Zusammenhalt stärken und wäre daher eine exzellente Investition.
Heiner Flassbeck, 59, ist Chefökonom der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung
Im Maastrichtvertrag heißt es, dass ein Mitglied, das wegen „außergewöhnlicher Ereignisse, die sich seiner Kontrolle entziehen“, von Schwierigkeiten betroffen ist, vom Europäischen Rat finanzielle Hilfe erhalten kann. Diese Bestimmung greift, weil Griechenland seine finanzielle Notlage nicht nur selbst verschuldet hat. Durch das Lohndumping der letzten zehn Jahre in Deutschland und anderen EU-Staaten haben sich in Griechenland gewaltige außenwirtschaftliche Defizite aufgetürmt, die sich jetzt im Haushaltsdefizit niederschlagen. Da Deutschland wegen seiner ungerechtfertigten Erfolge im Außenhandel in der Lage war, seine öffentlichen Haushalte zu sanieren, muss es nun den anderen beim Abbau ihrer Schulden helfen. Eine Lösung kann nur die Angleichung der Lohnkosten in allen EU-Staaten sein. Die Löhne in Deutschland müssten hierfür in den kommenden Jahren massiv steigen.
Rudolf Hickel, 68, Prof. em., leitet das arbeitnehmernahe Institut für Arbeit und Wirtschaft
Jetzt rächt sich die euphorische Arroganz bei der Gründung der Europäischen Währungsunion Ende der 80er-Jahre. Nach dem Maastrichter Vertrag ist es den Euro-Mitgliedsländern, vor allem aber auch der Europäischen Zentralbank verboten, notleidenden Ländern zu helfen („no bail-out“). Für diese besonders durch die Kohl/Waigel-Regierung zu verantwortende Mischung aus Ignoranz und Naivität wird jetzt über den abgewerteten Euro die Zeche bezahlt. Allerdings, der Ausstieg Griechenlands wäre für den Euro, wie überhaupt für Europa, ein Debakel. Es gibt nur eine Lösung: In einem unteilbaren, einheitlichen Währungsraum muss der Plan B gefahren werden. Finanzieller Beistand mit unterschiedlichen Instrumenten für Griechenland mit der Auflage, auch ernsthaft die öffentlichen Haushalte zu sanieren. Da auch anderen Ländern Zahlungsunfähigkeit droht, muss ein für alle geltendes Krisenmanagement in das EU-Vertragswerk eingebaut werden.
Nana Mouskouri, 75, griechische Sängerin, saß in den 90er-Jahren fünf Jahre im EU-Parlament
Ja, die EU muss Griechenland retten. Zuvor müssen aber die Griechen selbst in die Pflicht genommen werden. Die Frage ist, ob Griechenland entschlossen genug ist, sich selbst zu helfen. Lange Zeiten gab es finanzielles Missmanagement, jetzt muss Griechenland die EU überzeugen, indem konkrete und sicher sehr unerfreuliche Maßnahmen ergriffen werden. Ohne Ausnahmen und ohne frühzeitigen Abbruch. Athen muss die strikten Regeln akzeptieren, die die Mitgliedschaft in der EU mit sich bringt. Ich hoffe, dass die griechische Regierung und die Parteien den Warnschuss der EU wahrgenommen haben und dass sie alle hart arbeiten, um unseren Landsleuten Würde und Hoffnung für die Zukunft zu geben.
Nein
Markus Ferber, 45, ist seit zehn Jahren Vorsitzender der CSU-Gruppe im Europa-Parlament
Die Ursachen der aktuellen Haushaltsmisere in Athen dürfen nicht unter den Tisch gekehrt werden. Das Land hat viele Jahre über seine Verhältnisse gelebt und die EU mit gefälschten Statistiken hinters Licht geführt. Die niedrigen Zinsen, die der Euro mit sich brachte, wurden von der griechischen Regierung genutzt, um das Wachstum im Land mit Krediten zu finanzieren. Dabei wurde eine vernünftige Finanzpolitik ebenso vernachlässigt wie die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit. Frühe Warnungen der EU bezüglich der griechischen Haushaltslage wurden in Athen ignoriert. Daher darf die EU jetzt nicht den finanziellen Rettungsring auswerfen, sondern muss Griechenland weiter deutlich machen, dass kein Weg an drastischen Sparmaßnahmen vorbeiführt.
Rolf Langhammer, 62, Volkswirt, ist Vizepräsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel
Es gibt weder eine juristische noch eine ökonomische Begründung, warum Griechenland von der EU mehr erhalten sollte als das, was dem Land bereits jetzt zufließt: explizit durch Mittel aus dem EU-Haushalt für verschiedene Zwecke (Landwirtschaft, Strukturfonds) und implizit durch die eingesparten Zinszahlungen, die die Mitgliedschaft in der Euro-Zone bietet. Vielleicht waren diese Zuflüsse in der Vergangenheit sogar mitverantwortlich für die schweren Versäumnisse in der griechischen Wirtschaftspolitik und die dort weit verbreitete Meinung, die EU würde das Land schon im Notfall „herauspauken“. Griechenland kann seine Probleme durch eine harte und glaubwürdige Sparpolitik sowie im Notfall durch Unterstützung des IWF in den Griff bekommen. Würde das Land weitere EU-Hilfe erhalten, stünde bald der nächste Kandidat vor den Toren Brüssels. Daher muss klar sein: Die EU ist keine Solidargemeinschaft wie ein Bundesstaat.
Wolfgang Schwarz, 56, Selbstständiger, hat seinen Kommentar auf taz.de online gestellt
Griechenland ist durch Betrug in die Euro-Zone gekommen. Hätte man die damaligen Anforderungen hart angewendet, wäre es zunächst draußen geblieben und hätte sich anstrengen müssen, um später Euroland beizutreten. Auf keinen Fall sollte die EU das korrupte und wirtschaftlich kranke Land für damalige und noch vorhandene Missstände belohnen. Ein rigider Sparkurs mit massiven Kürzungen von Pensionen im öffentlichen Dienst ist notwendig. Wenn Griechenland das nicht will, steht der Austritt aus der Euro-Gemeinschaft jederzeit offen. Ein solches Vorgehen der EU würde auch andere Euro-Länder mit schlampigem Finanzgebaren abschrecken, auf kostenlose Rettung zu spekulieren. Auch weltpolitisch wären Hilfen völlig unakzeptabel: Statt Griechenlands Korruption zu füttern, sollten wir lieber den ärmsten Ländern mehr geben.
Norbert Walter, 65, war bis Ende vergangenen Jahres Chefökonom bei der Deutsche Bank Gruppe
Wer Regeln, die er akzeptiert hat, verletzt, weiß, dass Sanktionen unvermeidlich sind. Griechenland hat wissentlich getürkt, seine Glaubwürdigkeit beschädigt. Nun muss es dauerhaft diesen Mogelkurs verlassen. Korruption und Vetternwirtschaft müssen bekämpft, der Haushalt saniert werden. Ein offener EU-Markt kann wirkungsvolle Unterstützung sein. Der freie Marktzugang und die Verbindung zu Netzwerken der EU sind wichtige Hilfen. Nicht der EU-Geldbeutel verschafft Griechenland eine prosperierende Zukunft. Freilich sollten alle existierenden Programme etwa der Europäischen Investitionsbank oder des IWF zur Förderung von Investitionen und Begleitung der Wirtschaftspolitik genutzt werden. Aber weder die Geldpresse der EZB noch die Anleihen aus dem Gemeinschaftstopf sind die rechte Remedur.