piwik no script img

Archiv-Artikel

Den Daumen auf das Netz

INFRASTRUKTUR Die Hamburger sollen im September darüber entscheiden, ob sie ihr Stromnetz ganz zurückkaufen wollen. Die Sinnhaftigkeit dieses Vorhabens ist strittig

Sicher ist, dass eine Stadt mit eigenen Netzen Energiepolitik betreiben kann; unklar, ob sich damit Geld verdienen lässt

VON GERNOT KNÖDLER

In Hamburg herrscht Reue: 2002 hat der damalige Bürgermeister Ole von Beust (CDU) den Rest der Hamburgischen Electricitäts-Werke (HEW) an den schwedischen Staatskonzern Vattenfall verkauft. Jetzt soll das Ganze rückabgewickelt werden. Die Initiative „Unser Hamburg – unser Netz“ hat einen Volksentscheid über den vollständigen Rückkauf der Energienetze durchgesetzt, der parallel zur Bundestagswahl im September stattfinden soll. Der Rückkauf dürfte eine zehnstellige Summe kosten. Die Frage ist, ob sich das lohnt.

In dem Jahrzehnt seit dem Verkauf der HEW hat sich der Zeitgeist gewandelt. Damals galt der Verkauf öffentlicher Firmen und Infrastruktur als Chance zu einer grundlegenden Sanierung der öffentlichen Haushalte. Zudem überwog die öffentliche Meinung, private Unternehmen wirtschafteten effizienter als solche in der Hand des Staates oder der Kommunen. Eine Wirtschafts- und Finanzkrise später sehen sich die meisten eines Besseren belehrt: Die großen Unternehmen sind unter Rechtfertigungsdruck geraten und der Erlös aus dem öffentlichen Tafelsilber ist in Finanzlöchern ungeahnter Größe verschwunden.

Trotzdem ist erstaunlich, dass 2013 das glatte Gegenteil von dem gelten soll, was 2002 gegolten hat: Damals wurden die HEW- und Hein-Gas-Millionen angeblich dringend zum Stopfen der Staatskasse benötigt. Heute soll der Senat mal eben an die zwei Milliarden Euro loseisen können, um die Netze für Strom, Gas und auch noch Fernwärme zurückzukaufen. Die Initiative argumentiert, das sei ein gutes und sicheres Geschäft: Binnen 25 Jahren lasse sich der Rückkauf amortisieren.

Die Gelegenheit zum Rückkauf ergibt sich aus dem Auslaufen der Konzessionsverträge in den kommenden Jahren. Die Stadt erlaubt den Energieversorgern gegen eine Gebühr, ihren Grund und Boden zu nutzen. Alle zwanzig Jahre vergibt sie diese Konzession neu und kann dann entscheiden, wer das Netz in Zukunft betreiben soll. Verliert ein Unternehmen die Konzession, muss es das Netz verkaufen.

Hinter der Initiative „Unser Hamburg – unser Netz“ steht ein breites Bündnis ökologischer und sozialer Akteure vom BUND über die Diakonie bis zur Verbraucherzentrale. Es argumentiert, eine kommunale Netzgesellschaft sähe sich dem Gemeinwohl verpflichtet. Sie würde die Hamburger zuverlässig und zu fairen Preisen versorgen. Mit dem Fernwärmenetz in der Hand ließe sich eine effiziente und dezentrale Versorgung mit erneuerbaren Energien aufbauen. Weil die Netzentgelte beim Strom und Gas von einer Regulierungsbehörde festgelegt werden, lasse sich mit festen Einnahmen kalkulieren, so dass der Rückkauf den Haushalt nicht belastet.

Der von Bürgermeister Olaf Scholz geführte SPD-Senat hat versucht, der Initiative den Wind aus den Segeln zu nehmen. Er hat für rund 540 Millionen Euro 25,1 Prozent an den Netzen zurückgekauft. Ein 100-prozentiger Rückkauf sei „nicht finanzierbar“, behauptete Scholz, und auch nicht nötig für die Energiewende. Dafür vereinbarte er mit Vattenfall und Eon einen Strauß von Projekten für die „moderne Erzeugung und Speicherung von Energie“ im Volumen von bis zu 1,6 Milliarden Euro.

Bei einer Anhörung der Bürgerschaft äußerten sich Experten ziemlich ungnädig über die Abmachungen des Senats mit den Unternehmen. Wenn er für einen seiner Kunden einen solchen Vertrag aushandeln solle, sagte der Ingenieur Wolfgang Zander vom Aachener Büro für Energiewirtschaft, „würde ich als Berater aussteigen“. Die Sachverständigen kritisierten die zu geringen Einflussrechte der Stadt auf die Gesellschaften. Zudem sei der Kaufpreis wegen eines Rücktrittsrechts von Vattenfall und Eon eher eine zinsgünstige städtische Anleihe für die Konzerne.

Ob der vollständige Rückkauf der Netze eine gute Idee ist, kann so grundsätzlich auch der Verband der Kommunalen Unternehmen (VKU) nicht beantworten. „Der Trend zur Übernahme von Strom- und Gasnetzen durch Kommunen und kommunale Unternehmen hält unverändert an“, sagt VKU-Hauptgeschäftsführer Hans-Joachim Reck. Jede Kommune müsse aber genau prüfen, ob eine Übernahme wirtschaftlich sinnvoll sei. Seit 2007 sind laut VKU 170 Konzessionen von kommunalen Gesellschaften übernommen worden.

Der Vorsitzende der Monopolkommission, Daniel Zimmer, deutete bei einem Vortrag vor der Hamburger Handelskammer an, eine Rekommunalisierung wäre am ehesten bei der Fernwärme sinnvoll, wo der Versorger als Monopolist agiere.

Jens Libbe vom Deutschen Institut für Urbanistik hält es zwar aus ordnungspolitischen Gründen für einen Fehler, dass die Übertragungsnetze privatisiert worden sind. „Je weniger man das selber betreibt, desto eher ist die Fähigkeit beschränkt, energiepolitische Aussagen zu treffen“, sagt er. Er warnt aber vor der Vorstellung, damit Geld verdienen zu wollen.

Es gehe darum, „die Versorgungssicherheit und Steuerungsfähigkeit für die Kommune“ sicherzustellen, findet Lothar Schlieckau, Grünen-Fraktionschef im Rat der Stadt Hannover, die ihre Netze noch besitzt. Dabei sei es von Vorteil, von der Erzeugung bis zur Versorgung alles in einer Hand zu halten. Im Übrigen profitiere die Stadt nicht nur von der Konzessionsabgabe von zuletzt 41 Millionen Euro sondern auch von 102 Millionen Euro Gewinnabführung.