: Der Heiland von Kundus
MILITÄR Die Aussagen des Obersts Klein im Bundestag haben auf die Öffentlichkeit wie eine Erlösung gewirkt. Denn er nimmt die Schuld für einen schmutzigen Krieg allein auf sich
VON ULRIKE WINKELMANN
Was ist denn da passiert? Kaum dass Oberst Georg Klein, der in der Nacht vom 3. auf den 4. September 2009 den Befehl zum fatalen Bombardement von Kundus gab, einmal vor Abgeordneten des Bundestag aussagt, wird er öffentlich geradezu geliebt. Dem Tagesspiegel erscheint es als wichtigste Nachricht des Tages, dass Klein sich vorm Untersuchungsausschuss als bestürzter Christ geäußert hat. „Oberst Klein: Ich trauere um die Menschen“, titelt das Berliner Blatt.
„Hätte ich gewusst, dass Kinder vor Ort sind, hätte ich den Befehl nicht gegeben“, wird Klein vielfach zitiert. Er habe den 31 Politikern in der vor jeglicher Kamera geschützten Katakombe des Reichstags erklärt, dass er zu seiner Verantwortung stehe. Der Respekt vor dem Parlament gebiete es ihm auszusagen, auch wenn er es wegen des drohenden Ermittlungsverfahrens nicht müsste.
Einige Abgeordnete, die später vor die Mikrofone der Journalisten traten, wirkten geradezu beseelt von dem Eindruck, einen bundesrepublikanischen Mustersoldaten vor sich gehabt zu haben – den fühlenden, nachdenklichen Bürger in Uniform. Einer, der Verantwortung trägt und erträgt – das Gegenmodell einer verrohten Kämpferkreatur, wie sie sich aktuell in Nachrichten über ekelhafte Abhärtungsspiele mit roher Schweineleber und Alkohol bis zum Erbrechen wieder einmal abzeichnet.
„Großen Respekt“ bekundeten sie dem Oberst zurück. Der SPD-Verteidigungspolitiker Hans-Peter Bartels sagte: „Man möchte nicht in seiner Haut gesteckt haben in jener Nacht. Es ist eine tragische Situation entstanden, in der er Verantwortung hatte.“
So wie sich möglicherweise mancher Abgeordnete einer tragischen Situation ausgesetzt sieht, wenn er in wenigen Tagen das Mandat für den Afghanistaneinsatz erneut verlängern wird: schuldlos schuldig an einem jetzt offiziell so benannten Bürgerkrieg. Machtlos gegenüber den vielleicht nicht höheren, auf jeden Fall aber größeren Mächten, die das Schicksal Afghanistans bestimmen. Das Beste wollend und doch verstrickt in das tödliche Treiben dort. Oberst Klein, scheint’s, ist zu einer Projektionsfläche geworden.
Schon wenige Tage nach dem Luftangriff war Klein zum öffentlichen schuldigen Soldaten geworden – sein Gesicht auch in der New York Times, der zweifelnd-bestürzte Blick durch die randlose Brille in die Ferne, die so feinsinnig-weichen Mundwinkel in allen Fernsehkanälen. Ein intelligenter Liebhaber klassischer Musik, die er über den kleinen Lautsprecher am schwarzen Mini-iPod auch in seinem Büro in Kundus höre. Ein Gewissenhafter.
Jeden Tag kommen weitere Details darüber heraus, was in Kundus los war im Sommer. Das geheime Kommando Spezialkräfte KSK hat mit deutschen wie afghanischen Geheimdiensten längst die Talibanjagd vom immer noch als zivil-militärisches „Team“ bezeichneten Lager Kundus aus eröffnet. Die Spezialkräfte wollten ausgewählte Taliban töten. Klein wurde womöglich nur als Repräsentant der hoheitlich mandatierten Ordnungsmacht gebraucht, um den Befehl zum Bomben zu geben.
Vorm Bundestag steht er als einer, der diese Verantwortung zu tragen vermag. Er sollte die Schuld auf sich nehmen. Für die Spezialkräfte, für die Abgeordneten, für uns alle. Das hat er getan. Den Politikern und manchen Medien mag er erscheinen als einer, der den Schmutz des geheimen Kriegs von KSK und BND absorbieren muss – und der ihrer Sehnsucht nach einer besonnenen, sprachfähigen Bundeswehr entspricht. Für einen Moment gerinnt die Figur „Oberst Klein“ zum Jesus von Kundus.
Es ist nicht Sache des Ausschusses, Oberst Klein zu verurteilen – das haben die Abgeordneten selbst gesagt. Ob die Bundesanwaltschaft es wagen wird, ein Verfahren gegen ihn zu eröffnen? Es ist, als habe er sich längst einem menschlichen Urteil entzogen.