: Ernüchternde Bilanz der Arbeitsmarktreform
Im Januar ist die Zahl der Arbeitslosen weiter gestiegen. Ein Grund ist die kalte Witterung. Aber auch im Jahresvergleich verharrt die Erwerbslosigkeit auf hohem Niveau – obwohl Hartz IV die Bilanz mit statistischen Tricks entlastet
Hartz IV sollte die Situation auf dem Arbeitsmarkt nachhaltig verbessern. Das jedenfalls behaupteten die Protagonisten der umstrittenen Reform, die vor einem Jahr im Januar in Kraft trat. Jetzt liegen die ersten Vergleichszahlen vor, die Rückschlüsse auf die Wirksamkeit der Reform zulassen. Das Ergebnis ist so erwartbar wie ernüchternd: Nach einem Jahr Hartz IV ist in Berlin die offizielle Arbeitslosenquote weiter bedrückend hoch. Und der leichte Rückgang im Jahresvergleich ist nur statistische Kosmetik.
Die konkreten Zahlen: Im Januar waren rund 312.000 Berliner arbeitslos gemeldet, verkündete die regionale Arbeitsagentur gestern. Das waren rund 14.000 mehr als im Dezember, aber 16.000 weniger als im Januar des vergangenen Jahres. Die Arbeitslosenquote lag damit im Januar bei 18,6 Prozent, das sind 0,8 Prozentpunkte mehr als im Dezember und 0,8 Prozentpunkte weniger als im Vorjahresvergleich.
Während der Anstieg der Arbeitslosigkeit von Dezember zu Januar vor allem saison- und witterungsbedingt ist, erscheint der Rückgang der Arbeitslosenquote im Jahresvergleich auf den ersten Blick durchaus positiv: 16.000 Arbeitslose weniger. In reguläre Jobs dürften es allerdings die wenigsten geschafft haben. Denn die Statistik wird durch 32.000 1-Euro-Jobber geschönt, die offiziell nicht als arbeitslos gelten. Zudem sind knapp 16.000 Menschen, die ihr Heil in einer so genannten Ich-AG suchten, ebenfalls aus der Arbeitslosenstatistik verschwunden. Die hohe Zahl der 1-Euro-Jobber bläht insgesamt die Gruppe derjenigen auf, die in öffentlich geförderter Beschäftigung stecken. Im Januar 2005 waren dies – inklusive ABM – rund 37.000 Menschen. Zum Vergleich: Im Dezember 2003 waren gerade mal 16.000 Menschen in öffentlich geförderter Beschäftigung.
An der schlechten Arbeitsmarktlage hat sich wenig geändert. Der Abbau von sozialversicherungspflichtigen Stellen hält weiter an. Ende Oktober, das ist die aktuellste Zahl, gab es in Berlin 1.027.000 solcher Jobs, das waren 22.000 weniger als ein Jahr zuvor.
Wenig aussagekräftig ist hingegen die Statistik der offenen Stellen: Im Januar gab es in Berlin 13.000 neue Stellenangebote, gut 7.000 mehr als vor einem Jahr. „Der Zuwachs offener Stellen resultiert insbesondere aus der Einrichtung von Arbeitsgelegenheiten nach dem SGB II“, so die Arbeitsagentur. Übersetzt heißt das: Die angebotenen 1-Euro-Jobs, so genannte Arbeitsgelegenheiten, schrauben die Zahl offener Stellen nach oben. Dieses kleine bürokratische Manöver hat eine absurde Folge: 1-Euro-Jobber haben keine richtige Stelle, und sie erwerben keine Ansprüche auf Arbeitslosengeld I. Aber wenn die Arbeitsagenturen 1-Euro-Jobs anbieten, gelten diese plötzlich als „offene Stelle“.
Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linkspartei) sagte gestern, Beschäftigungsmaßnahmen seien nach wie vor dringend notwendig. „Deshalb darf sich die Entwicklung des vergangenen Jahres, als die Hälfte der dafür vorgesehenen Mittel verfiel, nicht wiederholen.“ Dabei handele es nicht um Haushaltsmittel des Landes Berlin, sondern um ein Budget der Regionaldirektion, über dessen Verwendung der Senat keinen Einfluss habt. Wolf: „Die Regionaldirektion für Arbeit und die Jobcenter müssen ihrer Verantwortung gerecht werden. Sie dürfen nicht nur vorwiegend billige Zusatzjobs (1-Euro-Jobs, d. Red.) einrichten, sondern mehr anspruchsvolle Programme finanzieren wie zum Beispiel ‚Stelle statt Stütze‘.“
Der DGB warnte gestern davor, auf eine Niedriglohnstrategie zu setzen, um Jobs zu schaffen. Der Anstieg von so genannten 1-Euro-Jobs oder auch Minijobs reiße gewaltige Löcher in die Sozialkassen, so der Gewerkschaftsdachverband. Allein durch Minijobs entstünden der Rentenkasse bundesweit Verluste von jährlich 1,3 Milliarden Euro. Und die Arbeitslosenversicherung müsse auf Grund geringerer Beiträge mit 1,1 Milliarden Euro im Jahr weniger auskommen. RICHARD ROTHER