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Archiv-Artikel

In der Diktatur der Jugend

Die Ärmelschoner sind verschwunden, jugendliche Grazien stöckeln über die Korridore der Macht, noch unterliegen die Tops keiner Längenvorschrift

AUS TIFLIS KLAUS-HELGE DONATH

Auf der George-W.-Bush-Magistrale geht es vom Flughafen in die Innenstadt. Den tristen sowjetischen Plattenbauten am Straßenrand ist anzusehen, dass sie kosmetisch in aller Eile aufgepäppelt wurden. Ein Dreivierteljahr liegt der Besuch des US-Präsidenten in Georgien zurück. Tiflis, die Kapitale der Kaukasusrepublik, putzte sich heraus, als würde sie sich ihres würdigen Alterscharmes schämen. Doch nun bröckelt der neue Anstrich bereits wieder ab, die Substanz war verrottet, die neuen Farben billig. Wer die Stadt verlässt, dem weist ein Porträt des US-Präsidenten den Weg. Das Stadtparlament verfügte dies, zusammen mit der Namensgebung.

Tiflis war im Herbst 2003 der Austragungsort der Rosenrevolution. Friedlich beseitigten die Kaukasier die korrupte Elite des Schewardnadse-Regimes. Die Revolution machte Schule und trat in anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion einen Siegeszug an. Zeremonienmeister Michail Saakaschwili, Georgiens amtierender Präsident, wurde zur Ikone des Aufbruchs, die Revolution zum einzigen Exportschlager der rohstoffarmen Republik. Im geopolitischen Gezerre zwischen Russland und den USA fand sich das Land als Frontstaat wieder. Gelegentlich bekommen die sonnenverwöhnten Georgier die neue Rolle hautnah zu spüren. Bei Temperaturen von minus 15 Grad fiel letzte Woche die Gasversorgung aus. Tbilissi – auf Deutsch „die Warme“ – versank unter einer knietiefen Schneedecke. Die Energie liefert Russland, wo auf mysteriöse Weise zeitgleich zwei Pipelines und eine Stromleitung in die Luft flogen.

„Ein schwerwiegender Sabotageakt“, wetterte Saakaschwili gen Moskau. Seither schicken Moskau und Tiflis wütende Depeschen über den kaukasischen Hauptkamm. Ganz ungelegen kam dem Heißsporn die Kältefront aus dem Norden nicht. Die Havarie ließ den Volkstribun aufleben. Er braucht den Notstand, um auf Touren zu kommen, meinen seine Landsleute Für etwas Linderung war so schnell gesorgt. Aserbaidschan sprang mit einer Notlieferung ein. Den Fall X hatte der besessene Transantlantiker vorausgesehen. Dies rechneten die bibbernden Menschen ihm hoch an. Unter dem Kampfruf „gazi ar aris“ – „kein Gas“ – schmiegten sich Volk und Präsident im Frost aneinander.

Die Mehrheit der Bevölkerung hält noch zu ihrem „Michail“. „Wir leben besser“, meint der Blumenhändler Dato. Vieles habe sich geändert. Der Durchschnittslohn hat sich verdoppelt. Die Korruption hat nachgelassen. Vor allem aber meint der 40-Jährige strahlend: „Es gibt keine Verkehrspolizei mehr.“ Die legalisierten Straßenräuber schaffte die Regierung per Dekret ab. Die Sicherheit im Straßenverkehr litt darunter nicht.

Im Zentrum, auf dem Rustaweli Boulevard, haben Westmodelle die russischen Ladas und Wolgas ersetzt. Veränderung springt ins Auge. Geschäfte und Cafés reihen sich dicht an dicht. Die einfachen Leute sind zufrieden. In Nachwahlen zum Parlament legte die revolutionäre Partei an der Macht einen beeindruckenden Sieg hin. Ganz ohne Mauscheleien – oder fast. Die Einnahmen des Staates sind nach einer Steuerreform auf das Vierfache gestiegen. Damit lässt sich hausieren gehen. Das tut Saakaschwili auch. Nach dem Ritterschlag Bushs, der ihn zum Vorreiter der Demokratie im postsowjetischen Raum erhob, mit noch mehr Selbstbewusstsein.

Doch hinter der Fassade des Erfolgs schimmern alte Unsitten durch. „Saakaschwili betreibt keine systematische Reformpolitik“, meint David Berdschenischwili von der Republikanischen Partei. Sie ist die einzige nennenswerte Opposition im Parlament. Es sei ein Experiment, das mit Hilfe eines Kaderkarussells am Laufen gehalten werde, sagt der Oppositionelle, der für seine Überzeugungen schon in kommunistischen Lagern in Sibirien büßte. Gegen die Eiseskälte in dem weitläufigen Büro schützt er sich nur mit einem Sakko. Die Mannschaft um den Präsidenten rotiert unaufhaltsam. Sie wechseln von einem Amt ins nächste, weil sie mit der Arbeit in den Apparaten überfordert sind und ihnen die Erfahrung fehlt. Saakaschwili rekrutiert die Mitarbeiter aus dem kleinen Zirkel der damaligen Rebellen. Sie stammen aus dem Liberty Institute, das den Rücktritt Schewardnadses mitsteuerte, der Jugendbewegung Kmara, alten Sudienkollegen und Freunden des Präsidenten – wie es halt in den Clangesellschaften des Kaukasus üblich ist. Professionalität, Qualifikation spielen keine Rolle. Die Personaldecke werde daher immer transparenter, was sich vom Politikstil nicht sagen ließe, meint Nodar.

Der 48-Jährige fiel der Revolution zum Opfer, denn er leidet an drei Schönheitsfehlern: erstens diente Nodar dem Vorgängerregime, zweitens ist er „Europäer“ und kein Transatlantiker – „vor allem bin ich aber viel zu alt“, sagt er trotzig. Wer die 35 hinter sich hat, gilt als nicht mehr verwendbar und wird ausgemustert. Verstaubte Ärmelschoner sind von den Fluren der Ministerialbürokratie verschwunden. Stattdessen stöckeln jugendliche Grazien über die Korridore, noch unterliegen Tops keiner Längenvorschrift. Die Jugend ist der Nabel der Welt, hier sind die Kinder bereits an der Macht, könnte man denken.

Darüber sind nicht alle glücklich. Schon spricht man scherzhaft von der „Diktatur der Jugend“ – und dies ausgerechnet in einem Land, in dem der Sittenkodex dem sprichwörtlichen kaukasischen Alter besondere Ehrerbietung erwies. Jugend und bedingungslose Treue zum amerikanischen Vorbild oder dem, was man dafür hält, gelten als Mindestvoraussetzungen, um in der Politik mitspielen zu dürfen.

Der 23. November 2003 sei ein staatlicher Feiertag und die Stunde null, meint Merab Turawa. Der Richter wehrt sich gerade gegen ein Disziplinarverfahren. 21 Richter des Obersten Gerichts Georgiens und 14 Amtsrichter wurden im letzten Jahr aufgefordert, freiwillig das Amt niederzulegen. Üppige Apanagen sollten ihnen den Entschluss erleichtern. Der in Jena promovierte Jurist und Vizepräsident des OGs lehnte ab und ging mit einigen Kollegen in die Offensive. „Ich trete nicht freiwillig zurück“, meint der 41-Jährige. Ihm wird zur Last gelegt, in einem Versorgungsfall ein Fehlurteil gefällt zu haben. Der Richterspruch deckt sich indes mit europäischen Standards, die laut Verfassung gegenüber georgischen Gesetzen Vorrang genießen. Die Maßnahme dient denn wohl auch einem anderen Ziel. Junge Richter sollen die Nachfolge antreten.

Nach seiner Wahl zog Saakaschwili im Handstreich Verfassungsreformen durch, die die Macht des Präsidenten auch gegenüber der Judikative ausbaute. Von den neuen Eingriffsmöglichkeiten werde reichlich Gebrauch gemacht, klagt der Richter. Mit jüngeren Kräften, die gerade die Universität absolviert haben, lässt sich nicht nur einfacher arbeiten. Sie sind auch für das Anliegen offener, Georgiens Rechtssystem am amerikanischen Modell auszurichten.

Turawa hält Geschworenengerichte nach dem Vorbild der USA in Georgiens rückständiger Gesellschaft für ein Wagnis. Doch er und seine aufmüpfigen Kollegen sind als „deutsche Mafia“ verschrien. Verbundenheit und Nachsicht der Bundesregierung gegenüber dem ehemaligen sowjetischen Außenminister Schewardnadse habe alles Deutsche in Verruf gebracht.

Über rigiden Zentralismus und Hyperempfindlichkeit der Macht gegenüber Kritik klagt auch die Presse. Die elektronischen Medien sind bereits gleichgeschaltet. Und selbst ehemalige Mitstreiter der Rosenrevolution wie die Georgische Assoziation junger Anwälte geraten zunehmend in die Schusslinie. Zeit wäre es, dem Helden von Tiflis mal kräftig auf die Finger zu klopfen. Sonst hätte die Rosenrevolution nicht mehr bewegt, als das alte Klientelsystem mit jungem Blut aufzufrischen.