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Archiv-Artikel

Wahlzeit ist Erntezeit

ORTSTERMIN Auf einer Konferenz gewähren Kampagnenmacher der Parteien einen Einblick in ihre Strategie. Out ist der Haustürkampf

Die Piraten suchen noch nach einem Thema, nach „Germany’s next Zensursula“

VON ANJA MAIER

BERLIN taz | Diesmal soll es besser laufen. Wenn in gut hundert Tagen Bundestagswahl ist, sollen die Wähler sich entscheiden müssen. Sie sollen klare Unterschiede erkennen zwischen den Parteien und anhand von Faktenchecks entscheiden, wer dieses Land regieren soll.

Beim letzten Mal lief es bekanntlich anders. 2009 hatte die Union einen „asymmetrischen Wahlkampf“ geführt. Quasi Merkels leichteste Übung: Zu kontroversen Themen einfach nichts sagen, um nicht die SPD und deren Anhänger herauszufordern. Das hat funktioniert.

Wie sich derartige Erfolge und Desaster – je nach Perspektive – wiederholen oder verhindern lassen, darum ging es am Dienstag auf einer Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin. „Das Hochamt der Demokratie“ lautete der Titel. Auf dem Podium saßen Wahlkampfstrategen aller im Bundestag vertretenen Parteien, außerdem Salomon Reyes, Wahlkampfkoordinator der Piratenpartei. Gut hundert Tage haben die Parteien noch, um ihr jeweiliges Profil zu schärfen. Wie soll das gehen?

Hans-Roland Fäßler von der SPD-Kampa versuchte, Peer Steinbrück in güldenes Licht zu tauchen. Steinbrück sei ein authentischer Kandidat, an dem die asymmetrische Demobilisierung scheitern werde.

Wie authentisch, das hat Steinbrück gerade gezeigt, als er verkündete, nicht zu den Hochwasseropfern reisen zu wollen, um sich nicht am „Gummistiefelwettbewerb“ zu beteiligen. Erst „wenn das Ärgste überstanden ist“, wolle er sich „mit den Betroffenen gerne hinsetzen“ und über Hilfen sprechen. Eine Botschaft, die vermittelt: Ich fühle erst mit, wenn ich muss – nämlich als Kanzler.

FDP-Mann Dennis Schmidt-Bordemann erklärte die Panik-Schwelle seiner Partei. Drei Prozent in den Umfragen seien „vernichtend“ für die Wählermobilisierung, während vier bis fünf Prozent geradezu elektrisierten. Seine FDP hat vor vier Jahren noch 14,6 Prozent geholt.

Matthias Höhn, Geschäftsführer der Linkspartei, sagte, man gehe gezielt in die aufgegebenen Gegenden Deutschlands, zu denen, „die sich nichts mehr erwarten“. Die Wahlzeit sei bekanntlich die Erntezeit der Parteien.

Selbstbewusst stellte Robert Heinrich von den Grünen das Konzept vor. Die Partei stelle Unterschiede zu anderen Parteien heraus, das basisdemokratisch erarbeitete Wahlprogramm sei konkret und verständlich. Außerdem seien Grünen-Wähler vergleichsweise jung.

Ein unschätzbarer Vorteil, der die überalterten Volksparteien tatsächlich Stimmen kosten könnte. Denn so wie die Sozis mit ihrem Haustürwahlkampf „Menschen von Menschen überzeugen lassen“ wollen, so will auch die Union Mitglieder im Wahlkampf einspannen, erklärte Peter Radunski. Das Wahlkampf-Urgestein der Konservativen räumte ein, dass es den überalterten Parteifreunden kaum noch zuzumuten sei, in Mietshäusern in den fünften Stock zu kraxeln, um an Wohnungstüren zu klingeln. Bei SPD und Linkspartei sieht es bekanntlich nicht besser aus.

Salomon Reyes von den Piraten hat es da leichter. Seine Partei kommuniziert vorzugsweise im Netz. Derzeit sei man noch auf der Suche nach einem polarisierenden Piraten-Thema, quasi nach „Germany’s next Zensursula“. Mit der Kampagne gegen die von Ursula von der Leyen geplante Internetzensur waren die Piraten 2009 bekannt geworden. Wen es diesmal trifft, das verkünden die Piraten am 30. Juni bei ihrem „Dezentralen Aufbruch“.