: Forum für die freie Szene
THEATERNACHWUCHS Präsentationsplattform und Austausch für eine frische Theaterszene: Zwei Wochen lang präsentiert das Kaltstart-Festival junge Schauspieler, Dramaturgen, Autoren und Regisseure
VON FRANK KEIL
Neulich sammelte Sarah Theilacker auf einem Hamburger Straßenfest Spenden für das von ihr geleitete Theaterfestival Kaltstart. Nun sitzt sie vor dem Kulturhaus 73 im Schanzenviertel, wo das Zentrum des zweiwöchigen Treffens des Nachwuchses der freien Szene sein wird und erzählt: „In den ersten 15 Minuten hatte ich bestimmt 30 Leute, die sagten: ‚Theater? Neee!‘“
Sie nimmt einen Schluck Selter und sagt: „Ich hab’ das am Anfang gar nicht verstanden.“ Und: „Ich weiß, dass 80 Prozent der Bevölkerung nie ein Theater von innen sehen, aber ich kann mir das nicht vorstellen.“ Also sei so eine Begegnung auch eine Art Realitätscheck, der manchmal nötig sei. Und nicht zuletzt Ansporn, weiterhin für das Theater zu brennen, zu schwärmen, zu werben!
Seit drei Jahren ist Theilacker für die Koordination und Finanzen des größten Nachwuchsfestivals der freien Theaterszene im deutschsprachigen Raum zuständig: „Die Hamburger Kulturbehörde gibt uns 10.000 Euro, die wir gerne nehmen. Aber wenn ich es ernst meine, finanziere ich damit zwei Gastspiele, wir aber machen hier zwei Wochen Vollprogramm.“
Zunehmend baut das Festival seinen guten Ruf in der freien Szene aus, diesmal gab es wieder einen Bewerbungsrekord: Über 100 Produktionen klopften an und baten um Aufnahme. Dabei legt das Team um Theilacker Wert darauf, dass man nicht allzu viel vorsortiert: „Unser Programm wird nur begrenzt kuratiert; es soll ein Abbild des Theaterschaffens geben.“
Was in diesem Jahr besonders interessiert: Gibt es Schnittstellen zwischen den meist einigermaßen solide subventionierten Stadt- oder gar Staatstheatern und den Gruppen und Projekten der freien Szene, die das Wörtchen „Selbstausbeutung“ schon seit Jahren nicht mehr hören können?
Dazu passt die Produktion „Urban Scouts. Wohin geht’s“, eine Kooperation der freien Gruppe „lunatics produktion“ und des Theaters Kiel. Janette Mickan kommt dazu mit zwölf Jugendlichen nach Hamburg, Rechercheure wie Akteure ihrer Träume, Sehnsüchte und Erwartungen an das Leben.
„Uns ist wichtig zu zeigen, dass die Zusammenarbeit von Stadttheater und freier Szene auch im Jugendbereich gut funktionieren kann; uns ist wichtig, dass unsere Jugendlichen die Möglichkeit haben, andere Produktionen zu sehen – und sie können noch mal woanders als in Kiel spielen“, sagt sie.
Noch nicht vor Ort war David Czesienski vom Projekt Gonzo, das aus fünf freiberuflich tätigen Theatermachern und Macherinnen besteht: „Wir waren schon zweimal eingeladen, aber es hat bisher nicht geklappt. Ich kann sagen, dass ich immer gerne hingefahren wäre und ich weiß, dass der Name in der Szene eine Bedeutung hat“, sagt er.
Für ihr Stück „Illusionen“ haben sie sich mit dem Staatstheater Schwerin zusammengetan: „Das Stück ist ein großer Monolog über die Liebe; vier junge Schauspieler erzählen vom Liebesleben vierer älterer Menschen und wie es sich hätte kreuzen können.“ Und niemand solle glauben, ach, er hätte über die Liebe schon genug Stücke gesehen und wüsste Bescheid!
„Urban Scouts“ läuft in der recht neuen Kategorie „Kaltstart Jung“, die dem freien Jugendtheater vorbehalten ist, „Illusionen“ bei „Kaltstart Pro“. Ansonsten gibt es während der 14 Tage die Autorenlounge, wo sich junge Theaterautoren nicht nur treffen, sondern auch aus kommenden Stücken lesen. Es gibt „Finale“ als Plattform der Hamburger Theaterakademie und es gibt „Fringe“, das alle Open-Air-Aufführungen versammelt. Außerdem die Abteilung „Sturmflut“, wo im Stundentakt Off-Gruppen Einblicke in ihre Arbeiten erlauben, ob es nun eine Punk-Oper ist oder eine Intervention. Und spät am Abend schließlich die Rubrik „Echolot“, wo man zusammensitzt und sich heiß reden darf, ob das, was man da zuvor gesehen hat, große Klasse oder großer Mist war.
„Es ist ein total cooles Festival“, sagt Sarah Theilacker und schwört auf die schöne Stimmung, die während des Festivals herrscht; auf den Spaß, den Organisatoren, Auftretende und nicht zuletzt die Zuschauer haben und dass man es sich so einfach gut gehen lässt. Sie preist die Freundschaften, die zwischen den Theatermachern entstanden sind, und die Kontakte und Kooperationen, die geschmiedet wurden. So wie es bei einem Festival eben sein soll.
Es gibt aber auch einen handfesten, quasi kaufmännischen Hinweis, dass Kaltstart auf einem guten, einem sehr guten Weg ist: „Wir hatten immer einen Vorverkauf, aber den konnten wir lange vernachlässigen. In diesem Jahr haben wir die ersten Karten verkauft, da hingen noch gar keine Plakate in der Stadt.“
■ So, 16. 6. bis Sa, 29. 6., Kulturhaus III&70, www.kaltstart-hamburg.de