: Opposition neu lernen
Wenn sich der Dampf um den Untersuchungsausschuss verzieht, bleibt eine Frage übrig: Von welcher Seite wollen die Grünen die Regierung angreifen?
VON ULRIKE WINKELMANN
Heute werden bestimmt wieder alle über Joschka Fischer reden. Der Exaußenminister soll dem Parlamentarischen Kontrollgremium (PKG) des Bundestags Auskunft geben, was er über die Kooperation deutscher Geheimdienste mit den US-Geheimdiensten wusste. Der heutige Außenminister Frank-Walter Steinmeier von der SPD kommt auch.
Ein paar Tage war jetzt Ruhe, nachdem die Grünen in einem großen Tohuwabohu die Entscheidung über einen Untersuchungsausschuss zur Geheimdienstaffäre auf Ende Februar geschoben hatten. Zeit genug, die Nackenmuskeln zu entkrampfen. Doch heute sind alle Fragen wieder da: Wollen sie wirklich Aufklärung? Oder haben sie Angst, ihrem Obergrünen und dem Ruf ihrer eigenen Regierungszeit mit einem U-Ausschuss zu schaden? Wird Fischer wieder quer zu Partei und Fraktion seine Ansichten ausbreiten?
Sie haben es aber auch nicht leicht. Was auch immer die Grünen tun – es wird ihnen stets als Versuch der Emanzipation von Fischer ausgelegt. Verlangen sie einen U-Ausschuss, heißt es: „Aha, Abnabelung!“ Verlangen sie keinen, heißt es: „Aha, Abnabelung gescheitert!“ Die Grünen reagierten darauf zuletzt in neurotischer Notwehr und fütterten die Fischer-fixierten Medien mit Fischer-stürzlerischen Sätzen.
Fraktionschefin Renate Künast forderte ihn zum Rückzug aus dem Bundestag auf, ihr Kofraktionschef Fritz Kuhn legte nach: Fischer solle „hinter der Bühne keine Konzertchen mehr geben“. Dann trauten sich andere, die Berufsfreiheit des Abgeordneten Fischer infrage zu stellen. Blöd nur, dass sie auch damit noch seinem Wunsch folgten. Fischer hatte schon im September gesagt, die jüngeren Grünen hätten ihn stürzen sollen.
Wie ironisch, dass ausgerechnet der Berliner Christian Ströbele („Ströbele wählen heißt Fischer quälen“) maßgeblich darüber entscheiden wird, ob die Grünen einen U-Ausschuss verlangen. „Leider ruht ja auf meinen schmalen Schultern die Verantwortung“, sagt Ströbele. Denn er sitzt im PKG und wühlt sich derzeit im geheimen Aktenraum durch die Geheimdienstunterlagen. Vielleicht ist auf diese Weise der Fragenkatalog der Grünen ja bis zum 22. Februar abgearbeitet. Nur werden die Grünen womöglich dann trotzdem auf einem Ausschuss beharren – damit keiner sagt, sie kneifen. Mit etwas Glück aber kneifen die anderen beiden Oppositionsfraktionen, dann sind die Grünen fein raus.
Überhaupt erlahmt das öffentliche Interesse an dieser Geheimdienstsache ja bereits. Und sollte es am Ende doch einen Untersuchungsausschuss geben, so wird es Monate dauern, bis der die erste sinnvolle Frage formuliert hat. Fischer wird dann halt kurz einfliegen – vielleicht aus den USA, wenn er dort seine Gastprofessur bekommt.
Bis dahin hat sich auch die Zwei-plus-zwei-Spitze wieder zurechtgerüttelt. Stinksauer waren die Parteivorsitzenden Claudia Roth und Reinhard Bütikofer auf das Fraktionsduo Kuhn und Künast nach dem Kommunikationsdesaster ums Ja oder Nein zum U-Ausschuss, das vor allem auf Künasts Konto ging. Die Fraktionsführung strebe ohnehin etwas forsch die grüne Deutungshoheit an, hieß es in der Parteizentrale. „Wir werden unsere Positionen nicht um der bloßen Profilierung gegenüber den anderen Parteien willen aufgeben“, erklärt die politische Geschäftsführerin Steffi Lemke.
Die Fraktion lässt dagegen durchblicken, es liege wohl an den Parteichefwahlen Ende dieses Jahres, dass insbesondere Roth sich derzeit zu schlicht allem melde. „Es ist in der Opposition noch schwieriger, wenn sich vier Leute um Aufmerksamkeit drängen“, bemerkt die Exfraktionschefin und heutige Fraktionsvize Krista Sager. Für die Bundestagsgrünen ist klar, dass sie es sind, die nun die neuen grünen Inhalte bestimmen.
Und an denen wird es hängen. Wenn sich der Dampf um Fischer und den U-Ausschuss verzogen und die vier Mitglieder des Führungsquartetts als teamgewohnte und vernünftige Grüne in ihre Rollen gefunden haben, wird immer noch die Frage übrig bleiben, wie die Grünen je wieder an eine Regierung gelangen wollen – und mit wem. Die Parteibasis hat mehrfach ausdrücklich verlangt, die Wirtschafts- und Sozialpolitik in der Post-Schröder-Ära wieder nach links zu steuern. Dazu aber hat die Fraktionsführung nicht die geringste Absicht.
Sie stärkt erst einmal das Umwelt-Standbein, das hält die Stammwähler beisammen. Mit Kindern, Bildung und Integration können die Grünen sowieso wenig falsch machen. Die zentralen Fragen nach mehr oder weniger Umverteilung aber, die lässt sie vorerst aus – rügt an schwarz-roter Rentenpolitik bloß „Chaos“, nicht Ungerechtigkeit. Die PDS-Linksfraktion wird wortreicher geschmäht als die Koalition.
Es ist, als belauerten die Grünen ihre eigenen Wähler: Bleiben sie, wenn wir auch in der Opposition nicht weiter nach links rücken? Erster Test: die drei Landtagswahlen Ende März.