: Zeitlos elegant
GLOBAL SOUND HipLife aus Ghana, Klangerneuerer aus Somalia oder Äthiopien: Brian Shimkovitz und sein Label Awesome Tapes from Africa verknüpfen eine reiche analoge Musikgeschichte mit dem digitalen Zeitalter
VON YORK SCHÄFER
Somalias Hauptstadt Mogadischu galt einst als „Perle des Indischen Ozeans“. Vor der Revolte gegen Diktator Siad Barre 1991 und den bis heute andauernden Verwerfungen infolge des Bürgerkriegs, war die Stadt am Horn von Afrika eine kosmopolitische Schönheit mit vibrierendem Nachtleben.
In den Studios des National Somali Theater und bei Radio Mogadishu wurden tausende von Alben aufgenommen. Die vitale Musikszene trat in Clubs wie Hotel Juba oder Jazeera Hotel auf. Wie in vielen postkolonialen afrikanischen Ländern vermischten auch somalische Bands wie Dur-Dur, Iftin und Shareero von den späten 1960er bis zu den frühen 1990er Jahren westlichen Pop, Soul, Funk, Rock und Reggae mit Elementen arabischer und somalischer Folk-Musik.
Selbst für einen Experten und großen Fan afrikanischer Musik wie Brian Shimkovitz, Gründer des MP3-Kassetten-Blogs und Labels Awesome Tapes from Africa, war der Sound aus Somalia bis vor Kurzem Terra incognita. Im Gegensatz etwa zum Nachbarland Äthiopien, aus dem Sampler wie die Albumserie „Ethiopiques“ oder der Grand Seigneur des Ethio-Jazz, Mulatu Astatke, von einem urbanen, nach neuen globalen Sounds lechzenden Publikum längst gefeiert wird.
Auf den Trend der Wiederentdeckung zeitlos eleganter äthiopischer Musik setzt nun auch Shimkovitz. Für Ende Juni hat der Labelmacher die Wiederveröffentlichung der Kassettenaufnahme „Hailu Mergia & His Classical Instrument“ von 1985 angekündigt. Der Soundpionier und Akkordeonist Hailu Mergia hatte die traditionelle Musik seines Landes damals klanglich erneuert, indem er als Einmannband bislang rein akustische Folksongs mit ihren sanften Melodiewellen per Moog-Synthesizer, Fender-Rhodes-Piano und Rhythmusmaschine als psychedelisch elektrifizierte, entrückte Instrumentals neu einspielte.
Brian Shimkovitz hat sich monatelang durch Musik- und Videowebseiten mit somalischer Musik gehört und dabei auch die Dur-Dur-Band aus Mogadischu ausgegraben, deren Kassettenalbum „Volume 5“ (1987) er nun auf seinem Label Awesome Tapes from Africa herausbringt.
Die bis zu zwölfköpfige Big Band besticht mit vier Sängern und einem Funk-getriebenen, souligen Sound, unter dem Einflüsse somalischer Folkmusik hervorscheinen. In Somalia waren Dur Dur Stars. Sie füllten bei Konzerten Fußballstadien. „Ihr Album gibt einen lebendigen Eindruck der somalischen Musikszene aus der Zeit vor der Destabilisierung des Landes“, sagt Shimkovitz.
Der US-Amerikaner hat eineinhalb Jahre in Berlin gelebt und sitzt nun auf gepackten Koffern. Sein Umzug von Berlin nach Los Angeles steht kurz bevor. Ziel sei es, in Kalifornien ein Netzwerk mit stärkerem Fokus auf Blog und Label aufzubauen. Das DJ-ing mit Kassetten, mit dem sich der 32-Jährige bei Touren durch ganz Europa einen Namen gemacht hat, werde etwas in den Hintergrund rücken.
Vor der Dur-Dur-Band und Hailu Mergia hatte Shimkovitz ein Album der malischen Sängerin Na Hawa Dumbia sowie den minimalistisch-frenetischen Folk-Electro des Ghanaers Bola (inklusive Remixe) auf Awesome Tapes from Africa veröffentlicht.
Im Unterschied zu Labels wie Strut oder Soundways, die mit ihren Samplern die Verankerung afrikanischer Musik im westlichen Popkanon entscheidend gefördert haben, bringt Shimkovitz ausschließlich komplette Künstleralben heraus: „Für mich sind das Momentaufnahmen, es soll sich für die Hörer anfühlen, als wären sie zu dieser bestimmten Zeit an diesem bestimmten Ort.“
Riesiger Fundus
Gestartet hatte Shimkovitz sein Projekt 2006 als MP3-Blog, für das er bis heute obskure Aufnahmen aus verborgenen regionalen Musikszenen des Kontinents digitalisiert und per Stream und Download zur Verfügung stellt. Stilistische Bandbreite und lokale Vielfalt – sein Hunderte von Aufnahmen umfassender Fundus ist riesig. Er enthält Orchestermusik und Griot-Blues aus Mali, ghanaischen HipHop und HipLife, süßlich perlende Highlife-Gitarrenklänge aus Kenia, zeremonielle Musik aus Guinea, kongolesischen Jazz, islamische Fuji-Musik aus Nigeria sowie das Gesangsgemurmel eines orthodoxen äthiopischen Mönchs.
Über 4.000 Kassetten hat Shimkovitz in seinem Archiv. „Afrika ist ein komplexer Kontinent, mit sehr vielen, sehr unterschiedlichen Talenten, wo es nicht nur Kriege und Katastrophen gibt“, sagt er. Begonnen hat er mit seinem Digitalisierungsprojekt, nachdem er als Student der Musikethnologie zwischen 2002 und 2005 zweimal für längere Zeit in Ghana und anderen westafrikanischen Staaten wie Mali, Togo und Burkina Faso unterwegs war. Er war vom ghanaischen HipHop und HipLife fasziniert, erstaunt wie die Jugendkultur durch Globalisierung und neue Technologien geprägt ist. Er kaufte tonnenweise Tapes in Kiosken und auf Märkten, interviewte Rapper, DJs und Musikproduzenten.
Nach der Rückkehr stapelten sich die Tapes in seiner Brooklyner Wohnung. Er spürte das Potenzial des Internets zur Verbreitung von Musik, scannte Cover ein und schloss sein Tapedeck an den Computer an.
Inzwischen bekommt er auch neues Material von afrikanischen Communitys aus Paris oder New York geschickt. Shimkovitz sieht Awesome Tapes from Africa als ein öffentliches Internetprojekt, zu dem alle Interessierten etwas beisteuern. „Es war immer sehr wichtig, dass die User ihr Wissen über Kommentare und Verlinkungen zur Verfügung stellen.
So fügt sich das Ganze über Crowd-Sourcing nach und nach zu einer Geschichte der afrikanischen Musik.“
Das Problem, einen Blog zu betreiben, auf dem Musik kostenlos zur Verfügung gestellt wird und von deren Veröffentlichung im Netz viele Künstler gar nichts mitbekommen, kontert Shimkovitz. „Durch den Blog bekommt Musik, die nur sehr schwer zu bekommen ist, eine Öffentlichkeit. 30.000 Besucher kommen monatlich auf die Seite. Digitalisierung ist Teil der Globalisierung, es wäre unfair, afrikanische Musik davon auszuschließen.“
Neue Genres wie Bongo-Flava aus Tansania, HipLife aus Ghana oder Kuduro aus Angola werden dank der Digitalisierung heute in Clubs und auf Festivals in der ganzen Welt gespielt. Wichtig sei die Wechselwirkung. Durch das Netz hätten ghanaische HipLife-Rapper erkannt, dass Rap ursprünglich aus Afrika käme und sie etwas aus dem Westen reinterpretieren, was bereits eine Interpretation originär afrikanischer Musik gewesen sei.
Künstler wie Na Hawa Dumbia, Bola und die Dur-Dur-Band profitieren in jedem Fall von der Zusammenarbeit. Jeweils 1.500 Vinylalben und CDs sowie eine limitierte Tape-Edition lässt Shimkovitz für die Veröffentlichung produzieren. Die Künstler bekommen 50 Prozent der Einnahmen. Und sie erhalten die Möglichkeit, international aufzutreten.
■ Alben von Awesome Tapes from Africa werden in Deutschland von Cargo vertrieben. www.awesometapes.com