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Archiv-Artikel

Merkel – Heldin für Südkorea

Internationale Politikwissenschaftler haben die Bundestagswahlen beobachtet

BERLIN taz ■ Die Koreaner können es immer noch nicht wahrhaben, dass Deutschland die Wiedervereinigung gelungen ist. „Dieser Umstand macht Deutschland für die Koreaner zu etwas ganz Besonderem“, erzählt Eun-Jeung Lee aus Südkorea. Gemeinsam mit siebzehn anderen Politikwissenschaftlern tourte die Koreanerin durch Deutschland und beobachtete den Bundestagswahlkampf im September vergangenen Jahres. In Lees Heimat wird Angela Merkel als Nordkoreanerin betrachtet, die es an die Spitze Südkoreas geschafft hat.

Die Politologen aus aller Welt schildern ihre Wahlerlebnisse in dem Büchlein „Von Grüblern und Frühaufstehern“ (DAAD, Bonn 2006), das sie gestern in Berlin vorstellten.

Jeffrey Kopstein, Professor für Politische Wissenschaften in Toronto, hatte Guido Westerwelle auf einer FDP-Veranstaltung erlebt. „Das Publikum schien durch ein Casting-Büro ausgewählt zu sein“, lacht der Kanadier. „Sonnengebräunte und gut ausgebildete Menschen in guten Jobs und eine Gruppe weißer Musiker, die sangen wie schwarze Musiker. In Westerwelles Rede wurde ständig das Wort Steuerkürzung, Steuerkürzung und Steuerkürzung wiederholt. Westerwelles Vortrag hätte zu den Republikanern in den USA gepasst. Markt ist super, Staat ist doof“, resümiert Kopstein. Am nächsten Tag besuchte Kopstein eine Wahlveranstaltung in Leipzig, traf auf Gregor Gysi und musste feststellen, dass der PDS-Mann eine ganze Stunde ohne Pause und ohne Notizen reden konnte. „Gysi sprach besser als Honecker, aber er sprach nicht kürzer. In Kanada wäre solch eine lange Rede der politische Selbstmord gewesen“, weiß Kopstein.

Shlomo Shpiro aus Israel wundert sich über die Ruhe und Ordnung, die am Wahltag in Deutschland herrschte. „Es gab keine gepanzerten Fahrzeuge vor den Wahllokalen, keine Sicherheitskräfte mit Maschinengewehren“, beobachtet der Israeli verwundert in Berlin. „Das Wahlvolk spazierte und verband seine Bürgerpflicht mit alltäglichen Aufgaben wie Brötchen kaufen.“

Vassiliki Georgiadou aus Griechenland stellte nach der Bundestagswahl fest: „Der Wähler hat sich entschieden, nur anders als erwartet und nicht wie gewöhnlich.“ CIGDEM AKYOL