: „Wer von uns hat schon einen Banküberfall erlebt?“
BEWEGUNG Ohne den Kameramann Reinhold Vorschneider wären die Filme der Berliner Schule nicht denkbar – gerade etwa „Der Räuber“ von Benjamin Heisenberg. Ein Werkstattgespräch
■ geb 1951, möchte selbst nicht fotografiert werden. Er studierte zunächst Philosophie und Politologie, dann aber ab 1983 Film an der Berliner Film- und Fernsehakademie (DFFB). Als Kameramann der Autorenfilmer Rudolf Thome, Angela Schanelec und Maria Speth machte er sich einen Namen.
INTERVIEW EKKEHARD KNÖRER
Reinhold Vorschneider ist heute als einer der wichtigsten deutschen Kameramänner anerkannt. Gleich drei herausragende Filme, bei denen er die Kamera geführt hat, waren kürzlich auf der Berlinale zu sehen. Insbesondere in seiner Arbeit mit Angela Schanelec, „Orly“, wurde er für seine klaren Bilder, seine Präzision und die Kunst der Bildkomposition viel gerühmt. In den genrenahen Filmen „Der Räuber“ von Benjamin Heisenberg und „Im Schatten“ von Thomas Arslan erweist er sich nun auch als Meister des Aktions- und Bewegungsbilds. Im Interview spricht er aus der Perspektive des Kameramanns über Benjamin Heisenbergs in dieser Woche angelaufenen Film.
taz: Wenn man sich die beiden „Berliner Schule“-Filme „Im Schatten“ und „Der Räuber“ ansieht, könnte man denken, dass es da gerade eine Annäherung zwischen dem Genrekino und dem klassischen Autorenfilm gibt. Wie sehen Sie das in Bezug auf den „Räuber“?
Reinhold Vorschneider: Ich habe den Eindruck, dass Benjamin einfach diese Affinität zu amerikanischen Gangster- oder Kriminalfilmen hat. Er mag diese Filme, die von Michael Mann zum Beispiel. Oder die Gangsterfilme des „New Hollywood“ aus den 70ern. Von denen ich übrigens auch sehr begeistert bin und von denen wir uns auch einige in der Vorbereitung intensiver angeschaut haben. Ich glaube, für ihn war das also kein großer Schritt oder gar eine Wende, sondern relativ normal und organisch.
Aber für Sie ist es doch etwas Neues, etwas Ungewohntes?
Das stimmt. Aber wenn ich das als Kameramann sehe, muss ich sagen, dass diese Art von Filmen eine sehr interssante Aufgabe darstellen und dass es eher meinem Umfeld von Regisseuren geschuldet ist, dass ich bisher nicht die Chance hatte, solche Filme zu drehen. Außerdem, wenn man beim „Räuber“ die Herkunft der Geschichte nimmt, dann ist es eigentlich ja gar nicht Genre, sondern eine authentische Geschichte, die wirklich passiert ist. Der Impuls, das zu machen, ist nicht das Genre. Der Impuls ist diese konkrete, schillernde Figur, die Marathons in Österreich gewonnen hat und ich weiß nicht wie viele Banken überfallen hat. Ich glaube nicht, dass Genre-Überlegungen bei Benjamin im Vordergrund standen. Was man aber sehen kann, ist eine Lust am Actionfilm. Eine Lust, diese Fluchtsequenzen auszuerzählen, sich ihnen zu überlassen.
Ist ja auch toll.
Ja, klar. Das ist eine Lust an dieser Motorik oder Kinetik der Fluchtbewegung, die auf der Leinwand ja toll anzuschauen ist. Beim Drehen ist das nun wieder gar nicht so einfach und da gab es in der Tat für uns viele neue Herausforderungen zu meistern.
Eigentlich ist der ganze Film eine Bewegungsstudie. Es gibt neben stilleren Szenen das reine Rennen, das Rennen als Fluchtbewegung – und Zwischenzustände, in denen man gar nicht weiß: Ist das noch reines Rennen oder schon Flucht oder ist die Flucht ein reines Rennen? Es gibt also sehr verschiedene Formen von Bewegung in dem Film. Haben Sie sich im vorhinein überlegt, wie man die ins Bild setzen kann?
Nicht als analytische Überlegung, also als theoretisches Sezieren, als Systematisierung von Bewegungsformen, denen man dann visuelle Mittel zuordnet, das gab es nicht. Es war viel einfacher, nämlich so, dass wir gesagt haben: Wir wollen nicht nur von außen beobachten, sondern wir wollen auch Beobachtungen aus dem Erfahrungsraum, dem Wahrnehmungsraum des Protagonisten heraus. Dadurch, dass dieser Protagonist sehr viel in Bewegung ist, dass es seine Existenzform ist, in Bewegung zu sein, war klar, dass wir Mittel und Wege finden müssen, ihm nahe zu sein. Und also müssen wir uns mitbewegen. Nicht als Prinzip, sondern als Möglichkeit, über die man von Szene zu Szene, von Bewegungsmoment zu Bewegungsmoment entscheidet: Bleibe ich hier distanziert und zeige die Bewegung im Raum? Bin ich Beteiligter mit der Kamera und bewege mich mit ihm? Wenn man bestimmte Grundentscheidungen trifft, dann ergeben sich aus ihnen eine ganze Reihe von Konsequenzen, und zwar ganz natürlich. Das hieß dann eben, dass wir mit Matthias Biber durchgehend einen Steadycam-Operator dabeihatten, der da teils auch Techniken entwickelt hat, die es als Standard-Ausrüstung gar nicht gibt und die es uns ermöglicht haben, das Lauftempo des Räubers mitzuhalten.
Wenn man sich – wie in „Der Räuber“ – entschließt, Banküberfälle zu inszenieren, dann ist man einfach im Genre. Man sieht sich konfrontiert mit vielen Arten, in denen das schon gefilmt worden ist. Wie haben Sie sich dazu verhalten?
Natürlich haben wir uns diese Filme angeschaut. Aber die erste Entscheidung ist dabei eine andere, nämlich nicht: Wie filmen wir das? Sondern: Wie macht der das? Benjamins grundsätzliche Idee dabei war, dass sich die Existenzform des Läufers auch in der Art und Weise der Banküberfälle widerspiegeln muss. Was so ein Phänomen wie Banküberfälle betrifft, habe ich erst mal eine reflexartige Vorsicht im Sinne von: Wie kann man etwas herstellen, von dem man überhaupt nicht weiß, wie es vonstatten geht? Es gibt Erfahrungsbereiche, da kann man mit seiner Alltagserfahrung ja gar nicht anknüpfen. Denn wer von uns hat schon je einen Banküberfall erlebt?
Was in diesem Zusammenhang vielleicht ganz interessant ist: Es gab bei den Dreharbeiten zu einem der Banküberfälle einen Moment, der tatsächlich zufällig passiert ist. In der einen Bank reicht die Kassiererin dem Räuber die Tasche mit dem Geld über die Glasabtrennung. Die Tasche verhakt sich und das Geld fällt auf der anderen Seite zum Teil wieder aus der Tasche. Wir haben das dann zwar aufgegriffen und auch reinszeniert in weiteren Takes, aber als das ganz ungeplant passierte, das war so ein schöner Moment. Die Frage ist dann, ob man sich solche zufälligen, irritierenden Momente ausdenken und sie dann herstellen kann? Geplant gab es so etwas zum Beispiel beim ersten Überfall, wo plötzlich dieser Hund in der Tür steht, die Tür geht auf und zu und man weiß nicht richtig, was sich daraus entwickelt.
Wie entwickeln Sie die einzelnen Szenen? Gibt es ausgearbeitete Storyboards?
Nein, das nicht. Wir, Benjamin und ich, sind im vorhinein tagelang durchs Buch gegangen und haben die mögliche Auflösung der Szenen diskutiert. Das ist durchaus das übliche Prozedere. Wir haben dabei aber gar nicht konkret Einstellungen festgelegt, sondern eher Haltungen: also im Sinn der jeweiligen Haltung zur Hauptfigur, wie nah man dran ist, ob man sich mitbewegt, wie und von wo und in welchem Modus man beobachtet.
Benjamin versucht sehr stark, auch die visuelle Seite seiner Filme mit zu beeinflussen. Er ist schon ein Autorenfilmer auch in diesem Sinn. Was ich in diesem Zusammenhang ganz interessant finde, ist seine Tendenz zu etwas, das man vielleicht „Konzept Decoupage“ nennen könnte. Manche Szenen löst er nach einem sehr präzisen, abstrakten, für mich nicht unmittelbar aus der Erzählung ersichtlichen, mitunter auch fast geometrischen Schema auf. Das Überraschende für mich ist dann oft, dass man dieses Schema im fertigen Film gar nicht mehr wahrnimmt und die Szene aber dadurch eine besondere Aura bekommen hat.
Es gibt eine Szene am Ende des Verhörs, bevor Rettenberger durch das Fenster springt und flieht. Das ist für mich das Beispiel einer Szene, wo das Konzept wunderbar aufgeht. Das Konzept nämlich, diese Sequenz nur in Detailaufnahmen zu filmen – in großen Einstellungen auf Gesichter oder das Glas, das auf den Tisch gestellt wird, oder ein Detail des Protokolls oder wehendes Papier an der Wand. Das erzeugt eine untergründige Spannung, bei der man nicht so genau weiß, woher das kommt. Und es kommt eben unter anderem aus dieser Nicht-Wahrnehmbarkeit des Raumes als Ganzem.