: Pragmatische Romantiker
Das Buch „Lebenspraktikanten“ beschreibt das private und berufliche Leben hoch qualifizierter Nomaden
Viele Hochschulabsolventen befinden sich in einer Grauzone zwischen Praktikum und Promotion, befristeten halben Stellen und Arbeitslosigkeit. „Lebenspraktikanten“ nennt sie Nikola Richter in ihrem gleichnamigen Buch, in dem sich eine Gruppe von Freunden durch das nachuniversitäre Leben kämpft. Die für das Praktikantendasein kennzeichnende Episodenhaftigkeit ist treffend beschrieben, doch dadurch wird das Buch auch sehr sprunghaft. Mit den Figuren ergeht es einem wie dem Chef, der sich an kein Praktikantengesicht erinnern kann. Man schnuppert mal kurz rein in das Leben, bangt mit Linn, die bei einem ehemaligen Chef die Chance auf einen Vertretungsjob bekommt, doch einige Seiten später trifft man sie dann unvermittelt in einem anderem Praktikum wieder.
Die eigentliche Stärke des Buches ist ein weiteres Problem, denn die genau beschriebene Arbeitsmarktrealität taugt nur bedingt als Freizeitlektüre. Wenn die Protagonisten ihre Bewerbungsstrategien optimieren und versuchen, aus Absagen zu lernen, kann man Tipps und Anregungen mitnehmen, die sich jedoch sogleich wieder als nutzlos erweisen. Wie beim Bewerben muss man sich manchmal motivieren, weiterzulesen. Im zweiten Teil ändert sich das, es gibt Erfolgserlebnisse und der Fokus liegt stärker im Privaten. Freundschaften und Beziehungen sind für die Protagonisten der wichtigste Anker, doch die Arbeitsnomaden haben es schwer, wenigstens dort eine Stetigkeit zu entwickeln, und so leben sie eine „pragmatische Romantik“.
„Lebenspraktikanten“ ist vor allem eine gute Lektüre für Eltern, die sich in die Lebenswelt ihrer Kinder versetzen wollen. Firmenchefs können zudem lernen, wie Praktikanten zurückschlagen, um das finanzielle Minus zu verringern, das ihnen beim unbezahlten Arbeiten entsteht. Ferngespräche auf Firmenkosten und verschwindendes Büromaterial sind bekannte Phänomene, doch es gibt Methoden, die wirklich Probleme machen können, und dann geht der Einsatz vermeintlicher Discountarbeitskräfte nach hinten los.
OLIVER VOSS
Nikola Richter: „Die Lebenspraktikanten“, Fischer Taschenbuch Verlag, 192 Seiten, 8 €