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Archiv-Artikel

ISABEL LOTT WUTBÜRGER Bitte keine Werbung einwerfen

Je bürgerlicher die Gegend, desto öfter kleben deren Bewohner diese unsäglichen „Stopp! Bitte keine Werbung einwerfen“-Schilder auf ihre Briefkästen. Die Botschaft dieser Aufkleber ist aggressiv, die Aufmachung piefig.

Es gibt gute Gründe, Wurfsendungen nervig zu finden. Sie verstopfen den Briefkasten und sind belastend für die Umwelt. Unsinniger Holz, Strom- und Wasserverbrauch, damit wir darüber informiert werden,dass es Hundefutter jetzt zum Aktionspreis gibt. Die wenigsten gehen jedoch so weit, sich mit den Unternehmen anzulegen, die diese Form der Werbung produzieren und verteilen lassen. Es ist so schön einfach, mit einem billigen Aufkleber seine politisch korrekte Haltung zu demonstrieren. Hier wohnt Familie Saubermann und ist für die Umwelt und gegen Werbung. Aber eigentlich auch für Autofahren, Fernreisen und Power-Shopping.

Das Argument, man müsse im Kleinen anfangen, um etwas zu verändern, ist hier leider völlig deplatziert: In Wahrheit sind diese Aktivisten mit ihrer Briefkastenagitation bereits mehr als ausgelastet. Denn damit dieser auch wirklich werbefrei bleibt, kämpfen sie gegen die bösen Handlanger der Werbeindustrie: die Niedriglohn-Austräger. Denen schlägt man die Tür vor der Nase zu oder verwehrt ihnen heroisch den Zugang ins Haus.

Eine Freundin berichtete stolz, sie habe den Verteiler erwischt und gezwungen, das Werbematerial gleich wieder mitzunehmen. Dass sie den Austräger mal kurz maximal gedemütigt hat, nimmt sie gerne in Kauf. Schließlich hat der, juristisch gesehen, versucht, ihr Persönlichkeitsrecht zu verletzen. Hinzu kommt noch die versuchte Eigentums- und Besitzstörung.

Für den eigentlichen Skandal, die Verletzung des Grundrechts auf visuelle Unversehrtheit nämlich, gibt es kein Gesetz. Was man in diesen Anzeigenblättern alles zu sehen bekommt – zum Beispiel Fotos von blutigen Schweinebauchhälften in hoher Auflösung. Sollte irgendwann so ein Schild meinen Briefkasten zieren, dann liegt es ganz sicher daran, dass ich Vegetarierin bin.

Hier wüten abwechselnd Isabel Lott und Kai Schächtele