: Im Vertrieb spielt die Musik
Das Hamburger Plattenlabel edel startete als Ein-Mann-Versand und sieht sich heute auf Augenhöhe mit den Marktführern. Vom Anspruch, Musik zu gestalten, hat sich edel-Chef Michael Haentjes mittlerweile verabschiedet. Dafür steht die Firma durch Downloads und Dienstleistungen finanziell gut da
von Jan Freitag
„Content is king“, sagt mit Michael Haentjes ein Haudegen der New Economy – was zählt, sind Inhalte. Der Satz aus dem Mund des Chefs von edel music könnte wehmütig klingen. Doch der hanseatisch gekleidete Dreitagebartträger blickt eher stolz aus seinem verglasten Büro über den Hamburger Hafen. Musik gestalten statt nur vermarkten und dabei richtig Geld verdienen: Das war einst die Seele seines weltumspannenden Plattenkonzerns. Acht Jahre nach dem Börsengang und fünf nach der drohenden Pleite aber meint Haentjes als alleiniger Vorstand der AG, seien dazu nur die vier Majorlabels EMI, Universal, Sony/BMG und Warner fähig, die mit ihren Kreativ- und Marketingabteilungen drei Viertel des Weltmarkts kontrollieren.
Bis 2002, als mit Universal der Branchenprimus seinen Sitz von Hamburg nach Berlin verlegte, war die Hansestadt unangefochten Deutschlands Musikmetropole. Mittlerweile aber sind neben Universal auch der Bundesverband der Phonobranche und der Plattenpreis Echo an die Spree gezogen: Die Szene blutet Richtung Hauptstadt aus, wenngleich Carol von Rautenkranz vom Alternative-Label L‘Age D‘Or eine Rückkehrbewegung ausmacht, die von der Stadt durchaus gefördert wird. Mit billigen Mieten in Toplage wurde etwa die Abwanderung von Warner Music politisch verhindert. Projekte wie das öffentlich finanzierte Musikzentrum Karostar sollen junge Firmen anlocken. Oder halten.
Für edel, beteuert Michael Haentjes, sei ein Umzug ohnehin nie in Frage gekommen. Auch nicht im Höhenflug. Als die Aktie Anfang 1999 ihren Höchststand von 92 Euro erreichte, wähnte er sich auf Augenhöhe mit EMI, Sony, BMG und Co. Heute punktet edel mit Ballermann-Samplern oder Altstars und zählt „Deutschlands erfolgreichste Kindergruppe“ Die Lollipops zu den „herausragenden edel-Künstlern“.
Das Wertpapier hat sich nach einem Absturz in den Cent-Bereich bei gut vier Euro stabilisiert. Immerhin. „Wir definieren uns sukzessive vom Musikkonzern zum weniger musiklastigen Entertainment-Unternehmen, das in allen Mediensegmenten aktiv ist“, sagt Haentjes. Ein beachtlicher Satz für einen Musikwissenschaftler, der seinen 1986 gegründeten Ein-Mann-Versand für Soundtracks zum zweitgrößten unabhängigen Plattenunternehmen der Welt gemacht hat. „Kostenoptimierung ist nichts Unkreatives“, fügt er noch hinzu. Doch was wie Verrat am Indie-Spirit klingt, ist kühle Kalkulation eines Plattenmachers, dessen Lebenswerk klinisch tot war.
Der 49-Jährige hat es an den eigenen Haaren aus dem Sumpf gezogen. Mit eigenem Geld, dessen Höhe er bis auf ein aktuelles Darlehen von 7,7 Millionen Euro nicht preisgibt. Und mit Veräußerungen: Zur Zeit des Börsengangs am neuen Markt war edel noch weltweit shoppen gegangen und hatte nachher über 100 Firmen und Beteiligungen unterm edel-Dach. Das Organigramm vom Dezember 2000 ist verzweigt wie ein königlicher Stammbaum. Von Hamburg aus wurden Strippen über den halben Globus gezogen. Doch dann platzte die New-Economy-Blase und zog das Musikbiz mit in die Tiefe.
edel gab daraufhin die Märkte in Südamerika und Asien auf und stieß mehr als die Hälfte aller Firmen ab. Das drückte zwar die Umsätze um zwei Drittel, sorgte aber dafür, dass edel nach Bankverbindlichkeiten in Höhe von 152 Millionen Euro Anfang 2002 schuldenfrei war und im Folgejahr in die Gewinnzone zurückkehrte – fast ohne Personalabbau, so heißt es. Die Reduzierung von gut 1.700 auf heute 740 Mitarbeitern beruhe auf Verkäufen, sagt Haentjes. „Wir haben immer 13 Gehälter gezahlt, niemand musste auf seinen Lohn warten, es gab keine einzige Insolvenz.“ Nur einmal seien 40 von 160 Leuten in der Zentrale entlassen worden. „Aber von denen sind inzwischen viele wieder da.“
Dass edel im Geschäftsjahr 2005 beim Umsatz um zehn Prozent auf 153,4 Millionen Euro zulegte und auch den Vorsteuergewinn um 151 Prozent steigerte, hat aber vor allem strategische Gründe. Mehr denn je agiert die Firma als Dienstleister, etwa bei Vertrieb, Buchhaltung und Marketing für andere Labels, durch die Vermarktung von TV-Sendungen auf DVD oder als Lizenzgeber für Klingeltöne. Hier war edel lange vor der Konkurrenz aktiv und wenngleich das Geschäft stagniert, setzt man auf Handybimmeln auf dem wachsendem Downloadmarkt.
Das Geschäft wird virtueller. Ein anderes Standbein ist dagegen sehr stofflich: 125 Millionen CDs und DVDs presst das konzerneigene Werk pro Jahr. Zum Teil für Majors. Hinzu kommen sieben Millionen LPs. Die Fabrik im mecklenburgischen Röbel liefert nicht nur die lukrativste, sondern personalintensivste Leistung des Unternehmens. Mehrheitsaktionär Haentjes hat den Service mit 60 Prozent Anteil am Umsatz längst zum Kerngeschäft ernannt. Der kreative Bereich soll zwar nicht schrumpfen, Risikobereitschaft klingt allerdings anders: edel setzt auf arrivierte Künstler. Neue Vertragspartner wie Chris Rea oder Kool & The Gang finanzieren seltene Eigengewächse wie Der Junge mit der Gitarre.
Künstleraufbau überlässt man der dreistelligen Zahl kleiner Vertragslabels, denen edel die Bürokratie erledigt. „Neuausrichtung des Repertoirebereichs“ heißt das im offiziellen Sprachgebrauch, Mutlosigkeit im inoffiziellen, Risikominimierung irgendwo dazwischen. „Wir werden nicht mehr 300.000 Euro für einen Newcomer aufs Spiel setzen, um ein Entweder-Oder-Ergebnis zu kriegen“, nannte es Exvorstand Michael Baur vor zwei Jahren. Ob eigene Acts wie Scooter vom Sublabel Kontor oder das Techno-Gör Blümchen die Branche je kreativ bereichert haben, sei mal dahingestellt. Immerhin sorgt edel mit dafür, dass die Vinylplatte trotz allem überlebt. Wenigstens hier wird erkennbar, dass edel per definitionem ein Indie-Label ist.
Und als solches wähnt sich Michael Haentjes mit den Majorlabels mal wieder auf Augenhöhe. Nicht zuletzt, weil er im Herbst als erster Independent-Vertreter an die Spitze des Branchenverbands in Berlin gewählt wurde. „Wir nähern uns zwar umsatzmäßig an“, schränkt er ein, „aber ohne vergleichbare Inhalte“. Und content, das sagte er ja bereits, is king. Wenn auch nicht unbedingt für den Gewinn.