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Archiv-Artikel

Raum für das Gewissen

MÄRZMUSIK Salvatore Sciarrino ist ein Dramatiker der Stille. Mit seiner Oper „Luci mie traditrici“ startet das Festival MaerzMusik

MaerzMusik

Mit „Luci mie traditrici“ eröffnet die MaerzMusik heute um 20 Uhr in der Volksbühne und wird am Sonntag noch einmal gespielt. Sciarrinos Streichquartett Nr. 8 ist am Sonntag um 16 Uhr in der Sophienkirche zu hören. Am Sonntag um 12.30 Uhr stellt sich der Komponist einem Künstlergespräch.

■  Das Festival MaerzMusik geht bis zum 28. März und bringt Kammermusik, Musiktheater und eine Sonic Arts Lounge für zeitgenössische Komponisten. Das umfangreiche Programm ist auf www.berlinerfestspiele.de zu finden.

VON TIM CASPAR BOEHME

Auch in der Stille kann es Neues geben. Salvatore Sciarrino, 1947 in Palermo geboren, begründete seinen Ruf als einer der wichtigsten Komponisten der Gegenwart mit einer Musik von äußerst sparsamen Gesten. Statt auf wuchtige Klangmassierungen setzt er auf wenige leise Töne, mit denen er das Obertonspektrum und die Möglichkeiten neuer Klangfarben an der Grenze zum Verstummen erkundet. In seinen Vokalwerken, insbesondere seinen Opern, hat er einen eigenen Gesangsstil entwickelt, der bei aller Reduziertheit zugleich stark dynamisch und expressiv ist.

Mit ihm eröffnet heute Abend das Festival Maerzmusik. Eigentlich wollte er schon vorher nach Berlin kommen, doch dann kam etwas dazwischen und das vereinbarte Interview konnte nur am Telefon stattfinden, inklusive der Übersetzung durch Sara Piazza.

Salvatore Sciarrino ist stolz darauf, Autodidakt zu sein und nie an einer Musikhochschule studiert zu haben. Ohne falsche Bescheidenheit ordnet er sich in einer großen Traditionslinie ein: „Beethoven hat auch kein Konservatorium besucht.“

Seine Skepsis gegenüber dem verschulten Bildungssystem fand er später durch eigene Erfahrung bestätigt, als er für mehrere Jahre an einer staatlichen Musikhochschule lehrte: „Ich habe dort gelernt, dass in jedem Einzelnen etwas Unwiederholbares steckt. Die öffentlichen Schulen holen das nicht immer aus den Schülern heraus.“

Sciarrinos Talent zeigte sich schon früh. Mit zwölf Jahren begann er zu komponieren, drei Jahre später wurde seine erste Komposition aufgeführt. Zu den Strömungen seiner Zeit wahrte er stets Abstand, auch wenn es in seinem Werk Anknüpfungspunkte an andere Komponisten der Gegenwart gibt. Seine Vorliebe für den Übergang vom Ton zum Geräusch – das Anblasen einer Flöte, das Streichen eines Bogens – teilt er mit Komponisten wie Helmut Lachenmann. Ähnlich wie die französischen Spektralisten um Gérard Grisey faszinieren ihn die Obertonspektren der verschiedenen Instrumente und Flageoletts. Doch diese Parallelen betreffen lediglich die technischen Aspekte seines Arbeitens.

In seiner Musik ist Sciarrino ohne Vergleich. „Ich habe mich von Anfang an, als von Umwelt und Ökologie noch gar nicht die Rede war, als ökologischen Komponisten betrachtet.“ Sciarrino geht es in seiner Musik um die „menschliche“ Dimension der Klänge im Unterschied zu „unmenschlichen“ Entwicklungen wie Technologie und den Geräuschen, die damit verbunden sind. Mit seinem künstlerischen Ansatz entschied er sich für eine Musik, die sich an die Stille wendet, um so Raum für das menschliche Gewissen zu schaffen: „Nur an der Grenze zur Stille oder der Leere können Gewissen und Bewusstsein entstehen.“

Von allzu menschlichen Dingen erzählt seine Oper „Luci mie traditrici“, die 1998 in Schwetzingen unter dem Titel „Die tödliche Blume“ uraufgeführt wurde und seitdem in verschiedenen Inszenierungen auf internationalen Bühnen zu sehen war. An der Volksbühne gibt es nun die Wiederaufnahme einer Produktion von den Salzburger Festspielen 2008 zu sehen, die von der Künstlerin Rebecca Horn inszeniert wurde.

Sciarrino ist stolz darauf, Autodidakt zu sein und nie an einer Musikhochschule studiert zu haben

Für das Libretto wählte Sciarrino eine Vorlage von 1664, das Stück „Il tradimento per l’onore“ von Giacinto Andrea Cicognini, in dem die wahre Geschichte eines Eifersuchtsmords erzählt wird: Der Fürst und Renaissance-Komponist Carlo Gesualdo di Venosa ermordete im Jahr 1590 seine Gattin und ihren Liebhaber, nachdem er das Paar in flagranti erwischt hatte.

Sciarrino hat den Originaltext für seine Oper stark umgearbeitet und zu knappen Dialogen verdichtet, deren Sätze sich auf wenige Worte beschränken. „Die Sprache des Texts war sehr schwerfällig, wenig poetisch und an vielen Stellen undeutlich. Meine Aufgabe bestand darin, dort Lösungen zu finden, wo der Text grauenhaft barock war.“ Parallel zu den verkürzten Dialogen entwickelte Sciarrino einen rezitativischen Vokalstil, der mit wenigen kurzen Tönen, Glissandi und formelhaften Wiederholungen arbeitet und nur selten in lyrischen Gesten verweilt.

„Den Vokalstil habe ich während der Arbeit an der Oper entwickelt. Nachdem ich schon mehrere Opern geschrieben hatte, merkte ich, dass ich die Stimme wie ein Instrument benutzt habe. Dabei wollte ich eigentlich genau das Gegenteil erreichen, also die Instrumente wie Stimmen benutzen. Die Instrumente sollten singen.“

Sciarrinos so definierten Instrumentalstil kann man am Sonntag bei der deutschen Erstaufführung seines achten Streichquartetts aus dem vergangenen Jahr besser kennen lernen: „In diesem Quartett herrscht eine ständige Suche nach neuen Klangfarben. Zugleich ist es auch ein sehr lyrisches Stück, in dem die Instrumente wie menschliche Stimmen singen.“ Von der Stille erzählen werden sie gewiss auch.