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Archiv-Artikel

Jimmy Draht gibt wieder mehr

TEAMWORK Die Comic-Künstlerin Marion Gerth alias Jimmy Draht eröffnet morgen in der Supalife Gallery die Ausstellung „Ich trage meine Haare lang“

Es gibt kaum Strapaziöseres als eifrige Künstler, finde ich. Damit meine ich nicht die Arbeit, sondern das Arbeitvertreten. Sie erklären dir ihr Bild, während sie mit einem Telefon am Ohr schon das nächste verticken.

Das Berliner Kunstwerk Jimmy Draht hat mit dieser Businessdarstellerei nichts zu tun. Weil er mit reiner Leidenschaft Comics malt, Plakate und Plattencover siebdruckt und Musik macht. Außerdem lebt in dem faszinierenden Jimmy Draht eine Frau: Marion Gerth. Die am Freitag um 19 Uhr in der Berliner Supalife Gallery ihre neue Ausstellung eröffnet, zusammen mit WeLikeNiceThings unter dem Titel „Ich trage meine Haare lang“.

Frau Gerth und ihr Draht kommen aus einer der wichtigsten Kunst-Musik-Verbindungen, die es seit den 90er-Jahren gab: Hausmusik. Ein Label, hinter dem Bands und Künstler aus dem oberbayrischen Raum Landsberg/Weilheim wucherten, ein Clan, der mit seinen bekannten Kindern oder Cousinen wie The Notwist, Ms. John Soda oder Tied & Tickled Trio nur skizziert ist. Marion Gerth spielte mit Fred Is Dead fünf Alben ein. Jede Platte steckte in einem Kunstwerk … Moment, oder waren das Kunstwerke, zu denen es eine Platte gab?

Nur mit Schneidbrenner

Zu diesem Thema äußerte sich der Berliner Musikfreund Henning Harnisch, heute als „Ahmet Ertegun von Alba“ gefürchtet, einmal so: „Wenn man das jetzt im Nachhinein betrachtet, wirkt es schon so, als ob jede Platte immer für das Ganze steht. Und das wäre dann bei Hausmusik erst mal die sehr eigene Gestaltung.“ Wir waren uns einig, dass man diese „Platten“ wie Briefmarken sammeln und sich an die Wand hängen will.

Mit der Erschaffung von Jimmy Draht verstärkte Marion Gerth den Comic/Kunst-Aspekt von Hausmusik. Draht-Produkt Nr. 2 war 1998 eine das Comicfestival „Jimmy Gimme More“ begleitende Hausmusik-Nr.-33-Doppel-LP mit mehr als den Family-Bands. Wer das Ding auf dem Markt nicht mehr findet, muss sich schon einen Schneidbrenner besorgen, wen er’s aus meinem Safe holen will. Teamwork ist eine Stärke von Marion & Jimmy.

In Berlin lebt dieses charmante Paar nun seit gut zehn Jahren, und wenn Frau Gerth mit ihrer neuen Band Jersey nicht spielt, an der dritten Platte arbeitet oder durch die Nacht surft, dann springt Herr Draht auf den Plan. Und der „macht das, was er macht, so gut, wie er eben kann, mit Tralala und Kritzelkratzel.“ Aber „Jimmys Homepage ist meist veraltet“, tadelt ihn seine Frau. „Jeden Abend will er sich noch vor den Computer setzen und das machen.“ Aber dann! Kennt man ja. Macht doch nichts! Die eifrige Homepage-Arbeit ist was für die oben erwähnten Eiferkünstler, die sich lieber vom Eiffelturm stürzen würden, als ihr Werk mit „Kritzelkratzel“ zu bezeichnen.

Auf jeden Fall Grenz

Viel besser ist doch, dass „Jimmy Humor hat. Wenn er ein Mensch wäre, wäre er Grenzgänger oder -überschreiter, auf jeden Fall Grenz.“ So mischt er die Grenzen zwischen Musik, Kunst, Comic auf. In den Comics ist Musik, oder sie zeigt sich, und weil es keine Genre-Comics sind, sind sie wohl auch Kunst. Oder nur Kunst? Oder mehr als? Alles Fragen, die diesen charmanten Grenzgängern natürlich keine schlaflosen Nächte bereiten. FRANZ DOBLER

■ Ausstellung „Jimmy Draht & We LikeNiceThings: Ich trage meine Haare lang“. Supalife Gallery, Raumerstr. 40. Eröffnung 26. 3., 19 Uhr