: Lachende Drogenbosse und geherzte Schweine
PARALLELWELT Das Fantasy Filmfest bringt internationale Geheimtipps auf die ganz große Leinwand – und zeigt einen auffälligen Trend hin zu früheren ästhetischen Konzeptionen
VON THOMAS GROH
Ein Pokerface wie seines hat es selten gegeben: Wie in Stein gemeißelt sind die Züge von Polizist Zhang (Honglei Sun), nur um wenig später, wenn es darauf ankommt, in kirres „Hahaha“ auszubrechen. Nämlich dann, wenn er einen Drogenboss, der den Spitznamen Mr. Haha nicht umsonst trägt, nachspielt, um anderen Drogenbossen in einem geschickt eingefädelten Undercovereinsatz ans Leder zu gehen. Mr. Haha wiederum kriegt seinerseits komplementär Komödie vorgespielt – so dividiert man die Drogenlords auseinander, zwischendrin die Polizei, die arrangiert und trennt. Man sieht das – eine der besten Szenen des an solchen reichen Films– in Run und Re-Run: Erst Zhang bei Mr. Haha, der seinen Kunden vor sich wähnt, dann Zhang, in perfekter Imitation seines vorherigen Gegenübers, vor dem eigentlichen Kunden.
„Drug War“ heißt der Film, Johnnie To sein Regisseur, ein Meister des Hongkong-Kinos, geschätzt von Cinephilen weltweit, wenn auch jenseits des Festival Circuit ein ewiger Geheimtipp. Schematische Anordnungen wie die von Zhang und Mr. Haha, souverän statt heischend ausgeführt, sind die Stärke dieses Mannes, der dem überbietungsfreudigen Action- und Thrillerkino Hongkongs mit immer wieder neuen Abweichungen, Experimenten und Entschleunigungen zwischen Taschenspielertricks und großer Kunst seit den 90er Jahren sein ganz eigenes Gepräge mit auf den Weg gegeben hat. Was er betreibt, ist Genrekino alter Schule – ein Hauch Lakonie des französischen Polizeithrillers liegt in der Luft–, doch ganz ohne Ballast aufs Niveau gebracht. So auch hier: kein Gramm Fett. Und beim blutigen Showdown geht es down to basics: keine Musik, ruhige Kamera, ein statisches Ballett: Schüsse fallen, wie Bolzenstöße klingen.
Selten genug, dass Tos Filme es in die hiesigen Kinos schaffen: Umso schöner, dass sein neuer Film beim Fantasy Filmfest nun auf die ganz große Leinwand findet, wo sich dieses kühle, nach all den digitalen Weltuntergängen, die das Blockbusterkino derzeit ad nauseam zelebriert, erfreulich konkrete Stück Präzisions- und Konzentrationskino besonders gut macht.
Der Trip nach China ist auch deshalb anempfohlen, weil sich das Festival in seiner Kernkompetenz, dem Horrorfilm, soweit im Vorfeld einsichtig, eher wenig hervortut. Neil Jordan, der in den 80ern und 90ern mit „Zeit der Wölfe“ und „Interview mit einem Vampir“ Maßgebliches zum Genre beigetragen hat, langweilt in „Byzantium“ mit einer ungelenk auf Arthouse getrimmten „Twilight“-Variante insbesondere auch ästhetisch ganz gehörig; die Dean-Koontz-Verfilmung „Odd Thomas“ verirrt sich absichtsvoll in Dämonen- und Parallelwelt-Quatsch Marke gesteigerter Blödsinn, ohne wirklich zünden zu wollen.
Auffallend ist in diesem Jahr die Tendenz zum Experiment mit kristalliner Ästhetik: Rob Zombie, sonst Meisterkoch von postmodern grob Angerichtetem, inszeniert in „Lords of Salem“ seine Ehefrau Sheri Moon, die unter den unguten Einfluss einer mysteriösen Schallplatte gerät, in einem lange Zeit herbstlich ruhigen, trotz allerlei popkultureller Querverweise fast fragilem Film, der sich erst gegen Ende zu einem satanistischen Furiosum zwischen Ken Russell, Black-Metal-Ketzerei und Okkult-Psychedelic aufschwingt. In „Upstream Color“ tauscht Wunderkind-Regisseur Shane Carruth die flirrende Opazität seines spirituell raunenden Radikal-Öko-Plädoyers unterdessen leider nicht gegen den Exzess ein. Hätte dem eitel verrätselten Film vielleicht geholfen, stattdessen werden nur Schweine geherzt.
Auch schwarz-weiße Filmkunst ist vertreten: Pablo Berger feiert in „Blancanieves“ mit einer ins spanische Torero-Milieu verlegten Schneewittchen-Variante die Kunst des Stummfilms, darin „The Artist“ nicht völlig unähnlich. Und Ben Wheatley lässt in „A Field in England“ Deserteure im 17. Jahrhundert querfeldein marschieren und nach Pilzgenuss farblos in Midnite-Movie-Gefilde delirieren.
Fast alle dieser ästhetisch wagemutigeren Filme suchen Anschluss an frühere ästhetische Konzeptionen. Umso schmerzhafter wiegt die Tatsache, dass das Festival, dem Wehklagen seiner Fans zum Trotz, die einst obligatorische Retrospektive nun schon seit einigen Jahren standhaft verweigert.
■ Fantasy Filmfest: 20.–28. 8. in Cinemeaxx Potsdamer Platz und Cinestar im Sony Center, Einzelticket: 9 €, Dauerkarte: ausverkauft, Infos: www.fantasyfilmfest.de