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Archiv-Artikel

„Man muss Opfer bringen“

SCHMERZ Der Eishockeyprofi Stefan Ustorf war immer bereit, alles zu geben für seinen Sport. Bis sein Körper irgendwann nicht mehr mitmachte

Stefan Ustorf

■ Der heute 39-Jährige hat 21 Jahre Eishockey auf höchstem Niveau gespielt. Der Traum des gebürtigen Hamburgers war es immer, in der nordamerikanischen Liga NHL zu spielen. 54 Matches hat er in der National Hockey League tatsächlich für die Washington Capitals absolviert, doch so richtig Fuß fassen konnte er in Übersee nicht. Als er zurück nach Deutschland kam, klappte es besser. Ustorf wurde fünfmal deutscher Meister mit den Berliner Eisbären. Mit 16 verließ er die Schule, um Profi zu werden – so wie sein Vater. Der war, bevor er als Trainer und Manager arbeitete, B-Nationalspieler. Stefan Ustorf lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Springboro/Ohio.

INTERVIEW JOHANNES KOPP UND MARKUS VÖLKER

Treffpunkt: Das Café im sogenannten Wellblechpalast auf dem Gelände des Sportforums Berlin-Hohenschönhausen. Stefan Ustorf trägt T-Shirt, Jeans und eine große Bandage am rechten Arm. Er hat kürzlich ein neues Schultergelenk bekommen. In den kommenden Wochen lässt er sich die Zähne richten. Später wird ihm links ein neues Schultergelenk eingesetzt. Ustorf spielt seit vielen Monaten kein Eishockey mehr. Das sieht man ihm an. Er hat etliche Kilos verloren. Sport kann er nicht mehr treiben, schon gar nicht sein geliebtes Eishockey, das ihm so viel bedeutete und ihn körperlich kaputtgemacht hat.

taz: Herr Ustorf, Sie sind der Schmerzensmann im deutschen Sport.

Stefan Ustorf: Ja, leider. Ich habe einiges verkehrt gemacht.

Was genau?

Ach, ich habe viel Verletzungspech gehabt. Aber ich habe auch 21 Jahre Profi-Eishockey gespielt, da verletzt man sich eben. Ich habe in meiner Karriere manchmal Verletzungen ignoriert oder in Kauf genommen und trotzdem weitergespielt, weil ich für mich entschieden habe: Das ist nicht so schlimm, ich geh aufs Eis. Oft habe ich Verletzungen erst nach der Saison behandeln lassen. Das ist aber üblich im Eishockey. Da war ich nicht der Einzige. Solange ich eine Möglichkeit gesehen habe zu spielen, habe ich gespielt.

Sie haben ganz bewusst Raubbau an Ihrem Körper betrieben.

Ach, eigentlich bin ich ganz zufrieden. Ich habe 21 Jahre rausgeholt aus meinem Körper, über 1.200 Profispiele gemacht, vier Olympiaden gespielt, sechs Weltmeisterschaften. Ich habe einen Preis bezahlen müssen, aber damit kann ich leben. Ich kann mit allen Verletzungen umgehen, nur mit meiner Kopfverletzung nicht, die zum Karriereende geführt hat, also die schwere Gehirnerschütterung.

Der Preis war nicht zu hoch?

Nein. (überlegt) Nein, nein. Das würde sich ja anhören, als würde ich mich über meine Karriere beklagen. Dafür habe ich zu viel Spaß gehabt und zu viel erreicht. Wenn ich mich darüber beklagen würde, dann hätte ich ein Problem. Andere müssen viel härter arbeiten in einem verhassten Job. Ich habe das Maximum aus meinem Körper herausgeholt. Ich bedaure nichts. Eishockey war mein Spiel.

Das ist aber eine ganz besondere Form von Opferbereitschaft.

Opfer bringt jeder im Sport. Talent allein reicht nicht. Man muss Opfer bringen können, um es so weit zu bringen wie ich. Sonst könnte es ja jeder machen.

Konkret: Welchen Preis haben Sie zahlen müssen?

Im Moment habe ich immer noch extreme Probleme mit meiner Gehirnerschütterung, die ich vor anderthalb Jahren erlitten habe. Ich bin nicht in der Lage zu arbeiten, kann mich nur schlecht konzentrieren, mir ist oft übel. Ich fühle mich schnell von Lärm und grellem Licht belästigt. Aber ich arbeite mit einem hervorragenden Neurologen. Ich versuche, meinen chronischen Schmerz unter Kontrolle zu kriegen durch die Schulteroperationen. In 12 Monaten möchte ich so weit sein, dass ich in ein geregeltes Arbeitsleben zurückkehren und meine zweite Karriere beginnen kann.

Ist es denn in der letzten Zeit vorangegangen?

Nein, nicht richtig. Durch die chronischen Schmerzen im Kiefer, an den Zähnen und den Schultern hat mein Gehirn keine Chance, sich zu regenerieren. Dadurch geht es auch nicht mit den Folgeerscheinungen der Gehirnerschütterung voran.

Können Sie sich noch an Ihren letzten schmerzfreien Tag erinnern?

Nein, das kann ich ernsthaft nicht. Das muss ich ehrlich zugeben. Ich bin das erste Mal mit 16 operiert worden. Vor dieser Zeit muss der letzte schmerzfreie Tag gelegen haben. Als Profi hatte ich jedenfalls keinen. Man gewöhnt sich dran. Irgendwas tut immer weh. Das heißt nicht, dass ich kauernd in der Ecke liege, irgendwo schmerzt es halt immer ein bisschen.

Das muss man im harten Männersport Eishockey abkönnen. Richtig?

Ich kann nicht für das Eishockey insgesamt sprechen. Ich habe natürlich genügend Spieler erlebt, die mit Verletzungen gespielt haben, wo du eigentlich nur den Kopf schütteln kannst. Wo du sagst: Das ist fast schon unmenschlich. Die sind mit gerissenen Kreuzbändern aufs Eis, mit gebrochenen Füßen, mit gebrochenen Handgelenken. Solche Sachen, wo man sagt: Geht eigentlich nicht.

Und mit welchen Sachen sind Sie aufgelaufen?

Mit all den Verletzungen, die ich gerade genannt habe. Gerissene Bänder und kaputte Schultern waren auch dabei. Wenn man mit 39 neue Schultergelenke braucht, dann muss es einen heftigen Verschleiß über Jahre gegeben haben. Ich bin schon früher dreimal an den Schultern operiert worden. Ich dachte eigentlich, ich hätte alle Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Und dann das!

So was würde doch ein Profifußballer nie machen!

Das kann ich nicht beurteilen. Das ist eine andere Sportart. Wenn ich einen gebrochenen Fuß habe, dann kann ich nicht Fußball spielen. Wenn ich den Fuß aber in einen Schlittschuh packe, dann geht es vielleicht. Es gibt bestimmte Verletzungen, mit denen kann man Eishockey spielen. Schmerztabletten brauchst du natürlich auch. Sie waren Teil meiner Vorbereitung. Das gebe ich zu.

Wer entscheidet über den Einsatz? Der Spieler, der Sportarzt?

Wenn ich der Meinung war, dass ich der Mannschaft helfen kann, habe ich gespielt. Aus. Aber ich habe auch mal Spiele mit einer Grippe verpasst.

Und die Ärzte?

Wenn die sagen, dass ich mich zum Krüppel mache, wenn ich spiele, dann überlegst du es dir natürlich noch mal. Und wenn du nach einer viermonatigen Pause und entsprechenden Rehamaßnahmen hörst, du bist wieder okay, dann glaubst du das natürlich auch.

Fühlen Sie sich im Stich gelassen?

Nein. Es ist meine Schuld.

Nach einer komplizierten Handgelenksverletzung haben Ihnen vier Ärzte geraten, aufzuhören. Sie haben einen fünften konsultiert, der sein Okay gab.

(Lacht) Ja, so ist es gewesen. Ich war mit 30 noch nicht bereit, meine Karriere zu beenden. Ich war stur und habe den Arzt gesucht, der mir erzählte, was ich hören wollte. Das war sicherlich nicht die intelligenteste Lösung.

Chronik des Leidens

1992 Knochenabsplitterung im linken  Daumen 1994 Schädel- und Rückgratprellung mit  kurzzeitigen Lähmungs- erscheinungen in beiden Beinen 1994 Sprunggelenksverletzung, verpasst deswegen die WM in Bozen 1996 ausgekugelte Schulter, drei Wochen Pause 1997 Bänderriss im Handgelenk 1998 verpasste WM-Teilnahme wegen einer Knieverletzung 2001 Bänderriss im Sprunggelenk 2003 Schulterverletzung 2005 Innenbandverletzung im Knie 2007 Syndesmosebandeinriss mit mehrmonatiger Pause 2008 Bruch des Mittelfußes; spielt damit aber weiter 2009 Ustorf wirft sich in einen Schuss. Der Puck trifft sein Gesicht, ein gebrochener Kiefer und acht verlorene Zähne sind die Folge. Vier Wochen nach dem Unfall steht er mit zwei Titanplatten im Kiefer wieder auf dem Eis 2011 schweres Schädel-Hirn-Trauma, das er sich bei einem Check im Spiel der Eisbären in Hannover am 6. Dezember zuzieht. In weiteren Untersuchungen an der Klinik für Neurologie am Unfallkrankenhaus Berlin werden ältere Narben entdeckt. Ustorf leidet unter Sehstörungen, einer Aufmerksamkeits- und Wortabrufstörung 2013 Ustorf erklärt seinen Rücktritt

Eigentlich konnte es nur so kommen, dass eine schwere Verletzung Ihre Karriere beendet.

Ja, ich habe dieses Spiel viel zu sehr gemocht, um den richtigen Zeitpunkt für den Rücktritt zu finden. Mit 37 habe ich aufhören müssen. Mit einer Gehirnerschütterung vom Eis zu fahren und nicht zu wissen, wo man ist – das ist kein schönes Ende. Das hatte ich mir anders vorgestellt.

Wie problematisch ist es für einen Leistungssportler, wenn er plötzlich keinen Sport mehr machen kann?

Das ist schwer, von heute auf morgen komplett aus dem Sport rausgerissen zu werden. Das ist etwas, was zum einen körperlich Probleme macht. Jeder Sportler weiß, dass man abtrainieren soll nach seiner Karriere. Zum anderen macht es mentale Probleme, weil man es einfach nicht gewöhnt ist, nichts zu tun. Aber damit muss man sich abfinden, da muss man sich durcharbeiten.

Wie?

Mit professioneller Hilfe von meinen Ärzten und durch den Beistand meiner Familie. Das ist die allerwichtigste Hilfe in dieser Situation: meine Frau und meine Kinder. Und Geduld. Das ist etwas, was ich über Jahre nicht gehabt habe und die ich nun entwickeln muss.

Haben Sie Techniken gelernt, mit Schmerzen umzugehen?

Es gibt immer wieder jemand, der dir von Techniken erzählt. Atemtechniken und dies und das. Aber ich habe nie etwas probiert. Adrenalin während des Spiels nimmt sehr viel Schmerzen weg. Adrenalin ist ein tolles Schmerzmittel. Und wenn man am Ende der Saison mit dem Pokal dasteht, vergisst man die Schmerzen auch sehr schnell.

Ihr Sohn spielt auch Eishockey.

Ja, er hat Talent. Aber manchmal schaut er mich an und schüttelt nur mit dem Kopf. Oder er verscheißert mich, wenn ich mich mal wieder nicht bewegen kann. Kann sein, dass ich ein abschreckendes Beispiel für ihn bin.

Sie werden ihm sicherlich raten, bei jedem kleinen Verdacht auf Gehirnerschütterung draußen zu bleiben.

Ja, ich selbst habe fünf oder sechs diagnostizierte Gehirnerschütterungen gehabt in meiner Karriere. Mein Doktor spricht von fünfzehn bis zwanzig, die es tatsächlich gewesen sind. Ich habe eine Narbe im Gehirn, also sichtbare Schäden. Alle, auch die Spieler müssen verantwortlicher werden. Der Kopf muss besser geschützt werden.