Genschmans geistige Erben

Klein, aber clever: Die illustre „Liberale Gesellschaft Bremen“, nach eigener Angabe „ein Who is Who der führenden Bremer Familien“, beschäftigt sich mit keinen geringeren Themen als beispielsweise der Abschaffung des ZDF

Als liberale Ideenschmiede hat Bremen noch längst nicht ausgedient

Bremens liberalste Zeiten sind vorbei. Seit dem Ende der Ampelkoalition vor 11 Jahren spielt die FDP weder in der Regierung noch in der Opposition eine nennenswerte Rolle. Zwar ist unvergessen, wie der junge Genscher seine erste Stelle in einer Bremer Rechtsanwaltskanzlei antrat, gern wird erzählt, wie er sich seine zweite Staatsexamensarbeit von den arrivierten Kollegen schreiben ließ. Doch das ist auch schon die aktuellste Anekdote aus den örtlichen FDP-Annalen.

Umso bemerkenswerter ist, dass Bremen über eine eigene „Liberale Gesellschaft“ verfügt. So eigen ist sie, dass sie selbst mit der bundesweiten Gesellschaft gleichen Namens keinerlei Kontakte pflegt. Die wiederum existiert nur als Bundesverband – FDP-nahe Bewusstseinsbildung an der Basis wird in aller Regel den Regionalbüros der Friedrich Naumann-Stiftung überlassen. „Wir sind ein typisches Bremer Gewächs“, betont denn auch Horst-Jürgen Lahmann, der Vizevorsitzende der Bremer „Liberalen Gesellschaft von 1965“. Viel Wachstum hat es seit der Gründung freilich nicht gegeben. Derzeit sind es gerade mal 20 Mitglieder, die an Konzepten etwa zur Erhöhung der „blamabel geringen“ Bremer Selbständigen-Quote arbeiten. „Wir hatten mal viel weniger“, sagt Lahmann. Aber man sei ja auch keine „Publikums-Gesellschaft“. Sondern so etwas wie „ein Who is Who der führenden Bremer Familien“.

Lahmann selbst war unter anderem Sonderberater der Europäischen Kommission für maritime Wirtschaft, zehn Jahre lang, bis 1984, auch Landes- und Fraktionschef der Bremer FDP. Das war die Zeit, als sie hier gelegentlich 13 Prozent holte – und in Gestalt Lahmanns im siebenköpfigen Präsidium der Bundespartei vertreten war. Heutzutage freut man sich, wenigstens wieder einen Einzel-Abgeordneten in der Bürgerschaft zu haben. Der Präsenzverlust ist allgegenwärtig, auch im „Hotel zur Post“ am Hauptbahnhof, wo die „Liberale Gesellschaft“ zu tagen pflegt. Sie muss zwischen den Konferenzräumen „Friedrich Ebert“ und „Carl Carstens“ wählen, ein liberaler Saalpatron steht nicht zur Verfügung. Dabei machen Lahmanns Leute hier immerhin ein gutes Dutzend Veranstaltungen pro Jahr. Aktuell widmet man sich den Künsten: Wenn die Bremer FDP schon keinen kulturpolitischen Sprecher hat, will wenigstens die „Liberale Gesellschaft“ das Feld beackern.

Im „Carstens“-Saal ist immerhin der Teppich mit FDP-gelben Posthörnern gemustert. Trotzdem hat der Abend ein Problem: Die Referentin fällt aus. Elisabeth Motschmann, für die CDU als Staatsrätin im Kulturressort tätig, sei gesundheitsbedingt verhindert, erklärt der Moderator. Was keineswegs als „politische Krankheit“ zu missdeuten sei, wie Lahmann später versichert. Weniger nachvollziehbar als das Fernbleiben findet er allerdings den Umstand, dass weder personeller Ersatz noch eine schriftliche Erklärung über die zu diskutierenden „Perspektiven Bremer Kulturpolitik“ erhältlich gewesen sei.

Umso freier kann dann der eigene Gedankenfluss strömen. Moderator Hermann Krauss, ein früherer Syndikus der Bremer Handelskammer und Ehrenvorsitzender des Vegesacker Kito, möchte zunächst mal „etwas Grundsätzliches“ los werden. Nämlich: Das Wort „Kultur“ sei eine Partizip-Perfekt-Form des lateinischen „colere“, bedeute also „das Bearbeitete“. Krauss’ Folgerung: Jede große Kunst beginne als Ärgernis. Weiter geht’s in der Geschichte: „Wir wissen über unser germanisches Erbe so gut wie nichts. Es rumort aber in uns – darüber könnte man auch wieder lange philosophieren.“ Stattdessen flammt eine Diskussion über den Rausschmiss des Theaterintendanten Kurt Hübner (bei dem Zadek und Fassbinder arbeiteten) auf. Das war 1973, man nähert sich also der Gegenwart. Die liberalen Gesellschafter wissen noch genau, dass der damalige Kulturamtsleiter Eberhard Lutze von den Polen als Kriegsverbrecher gesucht wurde. Und dass Jazz nichts mit Kultur zu tun hatte, sondern „Sache des Jugendamtes“ war.

Die gestandenen Gestalten, die sich beim liberalen Abend tummeln, sind zweifelsohne Männer der Freiheit, was sich auch im Outfit einiger Honoratioren spiegelt. Wo sonst kann man jenseits der 60 mit papageienbuntem Schlips und Cowboystiefeln herumlaufen? Entsprechend freimütig wird konstatiert, dass Künstler in aller Regel „linksprogressiv“ seien. Schließlich war „der Kommunismus ja auch mal notwendig“, wie Krauss maximalliberal feststellt. Das Feindbild des Abends ist nämlich ein anderes. Es heißt „Kulturbeamter“. Der reglementiert die zu Germanenzeiten noch unbehelligte künstlerische Produktion und sei in Bremen überflüssigerweise 43 Mal vorhanden – „das sind sechs Polizeireviere“.

Anschließend sind die Medien dran. Aus der Kritik der Volksmusik im öffentlich-rechtlichen Fernsehen entwickelt sich die Forderung nach Abschaffung des ZDF, „um einen Anfang zu machen“ – gebührenfinanzierte Spartenkanäle für Kultur und politische Information reichten völlig aus. Da ist der Abend schon fortgeschritten, kultur- und medienpolitisches Terrain zurück gewonnen und klar geworden: Als liberale Ideenschmiede hat Bremen noch längst nicht ausgedient.

Henning Bleyl