: Eindruck schinden in Nordkorea
SCHUMMELEI Potemkinsche Dörfer haben in Berlin-Brandenburg Tradition: mithilfe einer schönen Hülle einfach mal so tun, als ob. Im Oderbruch wurde zu DDR-Zeiten auf diese Art und Weise selbst der frühere nordkoreanische Machthaber Kim Il Sung gefoppt
■ An den Besuch von Kim Il Sung in Döbberin erinnert man in einer vor einem Jahr in der ehemaligen Dorfschule eingerichteten Heimatstube mit alten Fotos, Urkunden und auch Geschenken der Nordkoreaner. „Es ist ja ein Stück Dorfgeschichte, und die sollte man bewahren“, sagt der Ortschronist Ralf Tomczik.
■ In Golzow gibt es sogar einen Filmbericht über den Kim-Besuch auf DVD zu kaufen – im Filmmuseum, das sich der Geschichte der weltberühmten Langzeitdokumentation „Die Kinder von Golzow“ (1961 bis 2007) widmet. Im neunten Film, den Barbara und Winfried Junge Mitte der Achtziger drehten, wird der mehrstündige Aufenthalt von Kim Il Sung in einem gesonderten „Nachwort“-Bericht gezeigt, der Fake aber nicht erwähnt. (leue)
Mehr dazu unter www.kinder-von-golzow.com
VON GUNNAR LEUE
Sich vorzeigen ist das erfolgreichste Geschäftsmodell von Berlin. Die Stadt lockt immer mehr Touristen, weil sie ihnen viel zum Angucken bietet. Airportfans können sogar den Hauptstadtflughafen außer Betrieb in einem Sightseeing-Bus anschauen. Die „Erlebnistour BER“ ist im Prinzip eine Fahrt durch ein potemkinsches Dorf im märkischen Sand. Denn hier wird eine, nun ja, schöne Hülle vorgezeigt. Ostlern über 40 kommt das sehr bekannt vor, schließlich war Schönfärben und Vorzeigen in der DDR gang und gäbe. Wandelt die Bundesrepublik und ihre Hauptstadt Berlin also auf den Spuren der DDR? Gilt gar das Ulbricht’sche Motto vom Überholen, ohne einzuholen?
Manfred Hensel muss lachen. Der 86-Jährige lebt im Dörfchen Döbberin in Brandenburg, das Exministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) kurz nach der Wende mal die „kleine DDR“ nannte. Auf seinem Wohnzimmertisch steht ein Kaffeeservice, das seine Frau gerade aus der Schrankwand geholt hat: Traditioneller Sonntagsnachmittagschick, made in Korea. Nordkorea. „Ein Geschenk von Kim Il Sung, dem Opa vom jetzigen Machthaber“, erzählt Manfred Hensel mit einem Lächeln, das sich nicht zwischen verlegen und spitzbübisch entscheiden kann. Die Tassen und Teller sind nämlich mehr als ein Kaffeeservice, sie sind Requisiten einer filmreifen Story, mit der sich die DDR ein Denkmal als Schummelland setzte. Es geht um zwei Dörfer im Oderbruch, deren Geschichten kurzzeitig zu einer Geschichte verschmolzen. Zu der eines potemkinschen Dorfs, wenn man so will.
Der Fortschritt der DDR
Alles begann im Juni 1956 in Döbberin, wo Manfred Hensel als junger Bürgermeister amtierte, noch geprägt von seinen Kriegserlebnissen als Soldat. „Nach dem ganzen Mist hieß unsere Devise: Nie wieder Krieg! Wir wollten was aufbauen. Und mit unserem Dorf ging es aufwärts dank der LPG.“ Die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft leitete äußert erfolgreich der Genosse Erich Himmelreich. Ständig kamen Delegationen, um den Fortschritt in der Landwirtschaft zu bestaunen.
Hensel erinnert sich: „Eines Tages wurde uns von ganz oben mitgeteilt, auch der nordkoreanische Präsident Kim Il Sung wolle uns besuchen, um Erfahrungen in der DDR-Landwirtschaft zu sammeln. Der kam also mit Gefolge ins Dorf und hat sich alles angeschaut: Rinderstall, Tierarztpraxis, Kindergarten, das Lehrlingsheim. Er war ein neugieriger Mensch und meinte, so eine Entwicklung hätten sie in Nordkorea auch vor. Na ja, und dann hat er noch ein paar Häuser besichtigt und Geschenke verteilt.“ Die Bauern bekamen Wandbehänge, Vasen und Hensels das Kaffeeservice.
Nachdem der „Große Führer“ des Bruderlandes wieder weg war, ging in Döbberin erst mal wieder alles seinen sozialistischen Gang. Irgendjemand schlug noch eine Kim-Il-Sung-Straße im Dorf vor, was sie in der Gemeindevertretung aber abgelehnt hätten, so Hensel. „Wir wollten keine Politikernamen, dat bringt nischt.“
So blieb alles beim Alten, bis auf die Tatsache, dass Döbberin irgendwann nicht mehr ganz die Ansprüche an ein sogenanntes Vorzeigedorf erfüllte. Jedenfalls nach Meinung der Verantwortlichen in der Protokollabteilung der DDR-Regierung, die 1984 Staatsbesuche organisierten. Auch den von Kim Il Sung, der sich nach 28 Jahren erneut angekündigt hatte und unbedingt das schöne Dorf und seinen LPG-Vorsitzenden wieder sehen wollte. Genosse Himmelreich besaß bei den Nordkoreanern Legendenstatus. Egal, dachten sich die deutschen Protokollgenossen, wir zeigen Kim Il Sung trotzdem nicht die LPG in Döbberin, sondern die viel tollere in Golzow, 30 Kilometer entfernt. Dass das Dorf nicht dasselbe ist, das der Brudergenosse einst besucht hatte, müsse man ihm ja nicht sagen. Hat man auch nicht. In Döbberin munkeln sie bis heute, dass sogar ihr Ortseingangsschild nach Golzow umgesetzt worden sei.
Letzteres hält Heinz Riedel für Quatsch. Er war 1984 Bürgermeister von Golzow, nach 27 Jahren ist er 1990 aus dem Amt geschieden. Der 83-Jährige lebt nach wie vor in seiner kleinen Altneubauwohnung am Dorfrand seit dem Tod seiner Frau 2012 allein. Er sitzt im Sessel seines Wohnzimmers und schaut skeptisch durch die Brille. „Wen interessiert das heute noch? Die Leute von hier ziehen weg oder sind auf Hartz IV. Golzow hatte mal 1.200 Einwohner, jetzt noch 800, weil es keine Arbeit gibt und auch sonst nichts.“
Das sei früher anders gewesen, blickt Riedel zurück. Man habe alles gehabt: zwei Kaufhallen, Arztpraxis, Sportplatz, einen Karnevalklub. Das Dorf habe von der guten LPG profitiert. Deshalb sei Golzow in den 80er Jahren oft ausländischen Delegationen gezeigt worden, aus Frankreich, Schweden Österreich. „Die wollten wissen, wie unsere Kommunalpolitik funktioniert. Auch Erich war oft mit Gefolge hier, einmal sogar mit Arafat.“ Deshalb sei er auch nicht überrascht gewesen, als Kim Il Sung ankündigt wurde, erzählt Riedel. „Vom Rat des Kreises hieß es, er käme nach Golzow, weil sich Döbberin nicht mehr so entwickelt hat.“
Für die Schulkinder bedeutete das am 31. Mai 1984 Antreten zum Spalierstehen. Die Verkäuferin des Golzower Bäckereiladens erinnert sich gut: „Wir mussten mit der ganzen Klasse an der Straße Fähnchen schwenken.“ Kim Il Sung und Erich Honecker zogen durchs Dorf zum Kulturhaus der LPG, wo es einen Festakt gab. Der Saal war geschmückt und mit Teppich ausgelegt, die hohen Genossen saßen in wuchtigen Sesseln zwischen weißen Plastiktischen. Kim Il Sung hielt eine Rede, ebenso der LPG-Chef von Golzow, der als Nachfolger von Erich Himmelreich vorgestellt wurde. Der befand sich ebenso unter den Zuhörern wie sein Bürgermeister Hensel. „Kim hatte ja ausdrücklich gewünscht uns wiederzusehen“, sagt er rückblickend. „Er wollte von uns wissen, wie sich Döbberin seit damals so weiterentwickelt hat. Also haben wir erzählt, und alle haben gelächelt.“ Auch Erich Honecker, als Manfred Hensel seinem Gast Kim Il Sung Erinnerungsfotos vom Döbberin-Besuch 1956 zeigte.
Dass Kim Il Sung zwar die alten Genossen wiedergetroffen hatte, nur eben das Dorf ringsum ein ganz anderes war, als er glaubte – eine echte Meisterposse. Ausgerechnet der Gottvater der potemkinschen Moderne erhielt in der DDR eine Lektion in Sachen Schummelei.
Ein paar Relikte der alten Zeit finden sich noch im Mehrzweckgebäude der Agrargenossenschaft Golzow. Da, wo einst Kim und andere Politprominente der sozialistischen Welt auftraten, finden heute Schulsport und Feuerwehrbälle statt. In der oberen Etage in einem breiten Glasschrank, garantierte DDR-Produktion, liegen Devotionalien der Genossenschaftshistorie: Pokale, Medaillen, Traktorenmodelle und Geschenke befreundeter Landwirtschaftsbetriebe. Und eine Büste aus Nordkorea, ein unbekannter Frauenkopf. „Keine Ahnung, wer das sein soll“, sagt Regina Panzer. Sie arbeitete bereits 1984 als Lohnbuchhalterin in der LPG und kann sich gut an den Kim-Besuch erinnern. „Hier drin wurden die Gemüsekörbe aufgestellt, um die Produkte unserer LPG zu zeigen. Wir wussten, dass Golzow für Döbberin ausgegeben wird, weil wir jetzt die Vorzeige-LPG waren. Für uns war das normal. Immer wenn Erich kam, wurden die Straßen schön gemacht. So kamen wir von einer ordentlichen Straße zur anderen.“
56, 84, 2012: die märkischen Traditionen beim Errichten potemkinscher Kulissen wurden beim Flughafenbau offenbar aufgegriffen. Als die Eröffnung des BER vor einem guten Jahr platzte und sich alle wunderten, wie diese Überraschung geschehen konnte, wo doch alles bis kurz vor dem Knall so gut aussah, gab ein Bauarbeiter Aufklärung. Er erzählte, dass vor den Kontrollen der Bauleiter schon mal Rigipswände hochgezogen wurden, um fertige Abschnitte vorzutäuschen. Nach dem Rundgang der Chefs wurden sie wieder abgerissen, um weiterzuwerkeln. Ob der Mann Mitarbeiter einer alten Ostfirma war, ist nicht bekannt.