Abschiebung als Drama

Flüchtlinge sind in NRW vermehrt der Willkür von Behörden ausgeliefert. Diese haben gesetzlich kaum Spielräume und wollen sparen. Bei der Härtefallkommission steigen die Anträge rasant

VON NATALIE WIESMANN

Bei der Ausweisung von abgelehnten Asylbewerbern in Nordrhein-Westfalen spielen sich zunehmend Dramen ab. Flüchtlinge greifen zu immer drastischeren Methoden, drohen vom Dach zu springen oder nehmen Geiseln, um ihren Aufenthalt zu erpressen. Gleichzeitig werden Ausländerbehörden skrupelloser, holen Flüchtlinge nachts aus ihren Wohnungen oder sogar aus dem Krankenhaus (siehe unten).

„Je länger die Menschen hier verwurzelt sind, desto schlimmer wird die Situation“, sagt Volker Maria Hügel von der Flüchtlingshilfe in Münster. Die Fälle tauchten auch vermehrt in den Medien auf, weil MitschülerInnen oder SportkameradInnen der hier aufgewachsenen Kinder sich gegen die Abschiebung engagierten, so Hügel. „Die können nicht nachvollziehen, warum ihnen ihre Freunde entrissen werden.“

Doch schuld an der Lage sind nicht in erster Linie die Ausländerbehörden, sagt der Flüchtlingslobbyist: „Das eigentliche Problem ist das Zuwanderungsgesetz und seine Ausführungsbestimmungen in den Ländern.“ In NRW hätten die Behörden durch einen Erlass vom Februar 2005 bei der Vergabe von Aufenthaltstiteln so gut wie keine Ermessenspielräume mehr.Und wenn, würde diese zum Negativen ausgelegt, so Hügel. Gerade die Lage für traumatisierte Flüchtlinge habe sich verschärft: „Manche werden so lange zum Arzt geschickt, bis sie als flugfähig eingestuft werden.“ Denn die Kommunen hätten natürlich auch ein Interesse daran, durch Abschiebungen Kosten zu sparen, weil sie dann für die Asylbewerber nicht mehr aufkommen müssen.

Doch das ist kein nordrhein-westfälisches Phänomen: Günter Burkhardt von Pro Asyl Deutschland kritisiert, dass Länder und Ausländerbehörden derzeit versuchten‚ ‚im breiten Stil‘ Flüchtlingsfamilien aus dem Land zu schaffen.

Im Gegensatz dazu hat Spanien gerade im großen Stil Illegalen ein Bleiberecht verschafft: 250.000 illegalen Einwanderer haben Aufenhaltspapiere erhalten. Womöglich dadurch animiert, hat Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble am Rande eines Treffens mit seinen EU-Kollegen Flüchtlingen in Deutschland Hoffnungen gemacht: Er kündigte bis zum Herbst eine Bleiberechtsregelung an. Das wiederum freute NRW-Innenminister Ingo Wolf: „Ich hoffe, dass es noch in diesem Jahr zu einer bundesweiten Lösung für ausländische Flüchtlinge kommt, die sozial und wirtschaftlich integriert sind“, so Wolf.

Er selbst hatte bei der letzten Innenmininsterkonferenz im Dezember bereits eine Bleiberechtsregelung vorgeschlagen. Bei Flüchtlingsexperten kam sein Vorstoß nicht so gut an: Nur wenige der Geduldete hätten davon profitieren können. Unter anderem forderte Wolf von ihnen eine zweijährige sozialversicherte Anstellung.

Ohne Bleiberechtsregelung wächst auch die Arbeit für die Härtefallkommission NRW. „Die Zahl der Anträge ist rasant gestiegen“, sagt Volker Maria Hügel, der auch Mitglied der Kommission ist. Von 1996 bis 2004 wurde die Härtefallkommission 4.600 Mal angerufen, allei im Jahr 2005 waren es schon 1.200 Menschen Anträge. Die Erfolgsquote liegt bei fast 20 Prozent – ein kleiner Strohhalm, an den sich Flüchtlinge noch klammern können.