: Whole Lotta Love
Mit der Telenovela „Lotta in Love“ (18.00 Uhr) stellt sich nun auch ProSieben ans Fließband der Fernsehmärchen-Produktion
VON CHRISTIAN BARTELS
Nette graue Maus wird Double einer nicht so netten Sängerin und verliebt sich in deren Freund: Mit diesem Plot wird es nun noch dichter im täglichen Telenovela-Dickicht. Nach ZDF, Sat.1 und ARD will auch ProSieben noch ein Plätzchen im Segment besetzen. Und das mit einem beherzten Schritt gegen das wettbewerbsarme Duopol auf der Produzentenseite.
„Lotta in Love“ wird weder von der Potsdamer Firma Grundy-Ufa („Bianca – Wege zum Glück“, „Julia – Wege zum Glück“, „Leben für die Liebe“, „Sophie – Braut wider Willen“, „Verliebt in Berlin“) hergestellt, die zu RTL/Bertelsmann gehört, noch von den ARD-Töchtern Bavaria und Studio Hamburg („Sturm der Liebe“, „Rote Rosen“), die ebenfalls scharf auf lang laufende Großaufträge sind, sondern von einer Münchner Firma namens Rat Pack, die zuvor sieben feste Mitarbeiter hatte. Zwar gehört Rat Pack in einer auch nicht unverschachtelten Struktur mehrheitlich zur Constantin-Film des „Untergang“-Produzenten Bernd Eichinger, doch spannend bleibt: Können Kleinproduzenten auf der Klaviatur der täglichen Serie mitspielen, in der geforderten Schnelle circa 200 Folgen ausstoßen, oder bei gutem Quotenverlauf auch noch ein paar Dutzend mehr?
„Was nicht passt, wird passend gemacht“, heißt passenderweise die einzige Rat-Pack-Serie bisher: ursprünglich ein Filmhochschul-Kurzfilm, der zu einem mittleren Kinoerfolg und dann zwei Staffeln Sitcom ausgebaut wurde. Sonst hat Rat Pack Humororientiertes wie den Kinofilm „Der Wixxer“ und Fernsehfilme in der typischen ProSieben-Mischung aus Pubertärromantik und Hollywood („Vollgas – Gebremst wird später“) produziert. Mit der im gleichen Geist gedrehten „Märchenstunde“ verhalf sie dem Sender vergangene Woche zu 6,33 Millionen Zuschauern und endlich wieder einem Quotenerfolgserlebnis.
Heute geht es in der zweiten „Märchenstunde“ um die „Blondine mit den längsten Zöpfen der Märchengeschichte“. Die Rapunzel wird gespielt von Janin Reinhardt – genau der, die in „Lotta in Love“ nicht die Hauptrolle spielt, sondern die Hauptrollen. Und da dürfte das Strukturproblem liegen: Ob die vormalige Viva-Moderatorin es durchhält, über ein Jahr hinweg zwei unterschiedliche tragende Rollen zu spielen, ob das Filmteam das logistisch hinkriegt und ob die Autoren, denen anders als den großindustriell organisierten Kollegen kein ausländisches Vorbild zur Verfügung steht, ausgerechnet das urdeutsche Lustspiel-Element der Doppelgänger-Verwechslungskomik plus Liebesgeschichte so lange zu strecken verstehen – das wird spannend.
Ein Blick in die gerade erst fertig gestellte Startfolge zeigt: Ähnlich sehen sich Wäschereigehilfin Lotta und Popsternchen Alex nicht. Die eine ist sehr vernünftig, die andere sehr zickig, und von Haarfarbe bis zur Kleidung wird nichts ausgelassen, diesen Unterschied darzustellen. Doch Janin Reinhardt macht in beiden Parts keine üble Figur, eine Verkleidungsklamotte ist dies nicht. Bloß Lottas große Brille deutet an, dass Rat-Pack-Produzent Christian Becker auch Didi-Hallervorden-Fan ist und dessen Filme auf DVD herausbringt. So over the top wie die Haarpracht der „Verliebt in Berlin“-Protagonistin Lisa Plenske, die längst auch niemanden mehr stört, ist die Brille aber nicht.
Der postulierte Humor verharrt auf ausbaufähigem Hallervorden’schen Niveau („Picasso ist tot“ – „Siehst du, Kunst ist schlecht für die Gesundheit“). Lotta glänzt besonders dank der Defizite der übrigen Charaktere, die immerhin etwas differenzierter scheinen als in anderen Telenovelas. Die obligatorisch bös dreinschauenden Bösen sind mit krummen Geschäften um Merchandising-Lizenzen befasst. Das ist im Film der langweiligste Subplot, für den Sender hingegen ein spannendes Thema. Immerhin leistete man sich Annett Louisan als Sängerin des fürs Genre überdurchschnittlichen Titelsongs „Wer bin ich wirklich“, die Lizenzierung des Lieds durfte aber nicht das ProSieben-Label Starwatch Music übernehmen, sondern musste bei Louisans Label Sony BMG bleiben.
Und tatsächlich, wenn am Ende der ersten Episode Lotta sich die Perücke aufsetzt, die ihr Leben entscheidend verändern wird (nicht die von Lisa Plenske, nicht die von Rapunzel, die von Alex), könnte man das Gefühl haben, zumindest nicht dem Start der dümmsten deutschen Telenovela beigewohnt zu haben.