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Archiv-Artikel

Bayer gibt sich ritterlich

Der Bayer-Konzern will Schering kaufen. Gestern gab Scherings Aufsichtsrat grünes Licht für den Deal. Wie geht’s jetzt weiter? Was bedeutet die Fusion für Berlin? Und ist Bayer wirklich ein weißer Ritter?

von RICHARD ROTHER

Der Leverkusener Chemie- und Pharmakonzern Bayer will das Weddinger Unternehmen Schering aufkaufen. Wie geht das Geschäft über die Bühne?

Bayer bietet den Schering-Aktionären an, ihr Wertpapier für 86 Euro je Aktie zu kaufen. Bis Mitte April will Bayer die detaillierten Angebotsunterlagen veröffentlichen. Mehr als 75 Prozent der Aktien müssen, so ein Bayer-Vorbehalt, über den virtuellen Ladentisch gehen, um die Fusion perfekt zu machen. Genehmigen die Kartellbehörden den Deal, soll die Transaktion bereits im zweiten Quartal dieses Jahres beendet sein. Bayer rechnet bereits für Mai mit einer kartellrechtlichen Genehmigung.

Was ist ein weißer Ritter?

In der Wirtschaftssprache gibt es viele Beschönigungen. „Feindliche Übernahme“ gehört erfreulicherweise nicht dazu. Als das Darmstädter Familienunternehmen Merck die Übernahme von Schering ankündigte, sprach man in Berlin schnell von „feindlicher Übernahme“ – und jeder wusste Bescheid. Ein weißer Ritter ist ein Unternehmen, das einem bedrohten zu Hilfe eilt – und von diesem als Freund eingestuft wird.

Was muss ein weißer Ritter haben?

Vor allem Geld, denn billig ist der Job des weißen Ritters nicht. Bayer legt für Schering 16,3 Milliarden Euro auf den Tisch, Merck hatte 15,6 Milliarden geboten. Zum Vergleich: Der gesamte Landeshaushalt Berlins soll in diesem Jahr ein Volumen von 20,2 Milliarden Euro haben. Selbst wenn er gewollt hätte – Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) hätte den weißen Ritter nicht spielen können.

Warum gibt sich Bayer so ritterlich?

Durch die Fusion beider Unternehmen entsteht mit Bayer Schering Pharma einer der größten Pharmakonzerne weltweit, der allerdings an Marktführer Pfizer (USA) lange nicht heranreicht. Im Pharmabereich hatte Bayer zuletzt Probleme. Nun erhoffen sich die Leverkusener neue Perspektiven, zumal Schering hochprofitabel arbeitet. Mit der Fusion stärkt Bayer im Konzern den Bereich Lebenswissenschaften und sieht sich so besser vor konjunkturellen Schwankungen geschützt.

Musste Bayer schnell entscheiden?

Ja. Jetzt oder nie, das war offenbar die Devise. Merck hatte vor zwei Wochen den Stein ins Rollen gebracht und damit gedroht, Schering ein für alle Mal wegzuschnappen. Schering galt an der Börse allerdings schon seit langem als heißer Übernahmekandidat.

Was bringt die Übernahme Berlin?

Berlin soll Hauptsitz des neuen Pharmaunternehmens werden, das fast doppelt so viel Umsatz wie bislang Schering macht. Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linkspartei) und die IHK versprechen sich davon eine Stärkung des Gesundheitsstandortes Berlin. Das Universitätsklinikum Charité in Mitte vor Augen, könnte sich auch der neue Konzern – wie bislang Schering – stark in der Hauptstadt engagieren.

Und wo liegen die Risiken für die Stadt?

Berlin verliert sein letztes großes Unternehmen, das eigenständig in der ersten Börsenliga (DAX) spielt. Außerdem könnte auch Bayer lukrative Nichtpharmabereiche von Schering verkaufen, um Geld für den teuren Deal zu bekommen. Ganz sicher werden bei der Fusion Jobs wegfallen – auch in Berlin.

Wie viele Jobs sind bedroht?

Mit konkreten Zahlen und Szenarien halten sich die Manager noch bedeckt. Weltweit stehen aber 6.000 der knapp 60.000 Jobs beider Unternehmen zur Disposition. Berlin wird da nicht verschont bleiben. Es sei noch offen, „wie es mit den Standorten und den Arbeitsplätzen aussieht“, so Schering-Betriebsratschef Norbert Deutschmann gestern. Die genannte Zahlen seien jedoch „ernst genug, dass man sich Sorgen machen kann“. Allerdings sei Erleichterung darüber spürbar, dass Berlin – anders als bei der Offerte von Merck – Stammsitz bleiben solle.

Was hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit der Fusion zu schaffen?

Merkel möchte möglichst bald mit Bayer-Chef Werner Wenning reden, hieß es gestern. Ziel ist der Erhalt von Standorten und Arbeitsplätzen im Zuge der Fusion – in Deutschland.

Warum geht Bayer Pharma nach Berlin?

Mit Bayer Schering Pharma geht nur ein kleiner Teil des Bayer-Konzerns nach Berlin; Zentrale und auch der Gesundheitsbereich bleiben in Leverkusen. Schering ist der größere Teil im fusionierten Unternehmen. Die Entscheidung für den Umzug hat sicherlich auch die Zustimmung des Schering-Vorstandes für den Deal erleichtert. Und Berlin kann sich mit der neuen Firmenzentrale in der Müllerstraße im Wedding darüber hinwegtrösten, dass die strategischen Entscheidungen künftig in Leverkusen getroffen werden.

Was produzieren Schering und Bayer eigentlich?

Schering hat sich auf wenige Spezialmärkte im Pharmageschäft konzentriert und ist weltweit erfolgreich bei den oralen Verhütungsmitteln, unter anderem mit der Pille Yasmin. Gefragt ist auch das Multiple-Sklerose-Medikament Betaferon; das Bayer-Mittel Aspirin kennt jeder.

Wer bezahlt den Deal?

Bayer will für die Schering-Übernahme 3 Milliarden Euro bar auf den Tisch legen, zudem sollen Kredite aufgenommen werden. Außerdem will Bayer zwei deutsche Tochterunternehmen verkaufen, um Geld in die Kasse zu kriegen. Veräußert werden die Werkstofffirma H. C. Starck GmbH in Goslar mit 3.200 Mitarbeitern und die Walsroder Chemiefirma Wolff Walsrode mit 1.200 Beschäftigten.

Wer spielt den Ritter?

Den weißen Ritter gibt Bayer-Chef Werner Wenning, der in diesem Jahr 60 Jahre alt wird. Vom Lehrling zum Konzernchef, das schaffen nur wenige.

Und wer ist dann der Knappe?

Dem 62-jährigen Schering-Chef Hubertus Erlen bliebt keine andere Rolle als die des Schildträgers. Das Bayer-Angebot abzulehnen hätte kaum Aussicht auf Erfolg gehabt. Auch Erlen hat sich in seinem Unternehmen kontinuierlich hochgearbeitet. 1972 in die pharmazeutische Produktion gekommen, wechselte er 1978 in das Zentrale Management. 1985 wurde Erlen Vorstandsmitglied. Seit April 2001 ist der in Berlin geborene Erlen Vorstandsvorsitzender.