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Archiv-Artikel

Freiheit der Reichen

Kommunen müssen jetzt selbst entscheiden, ob Kinder von ALG-II-EmpfängerInnen Büchergeld erhalten

Wenn die schwarz-gelbe NRW-Landesregierung von „Freiheit für die Kommunen“ spricht, zucken die verschuldeten Städte und Gemeinden schon automatisch zusammen. Etwa als das Land kürzlich die Zuschüsse für Kindergartenbeiträge kürzte und den Kommunen die Freiheit gab, das Geld selbst beizuschießen oder die Eltern stärker zur Kasse zu bitten.

Umstritten ist auch die Freiheit, die CDU-Schulministerin Barbara Sommer den Städten und Gemeinden im neuen Schulgesetz geben will. Sie sollen selbst entscheiden, ob neben Kindern von Sozialhilfeempfängern auch der Nachwuchs von Arbeitslosengeld-II-Beziehern kostenlos Schulbücher bekommen soll. Grund: Das Land will dafür nicht aufkommen.

Die so genannte Lernmittelfreiheit galt früher für Kinder von SozialhilfeempfängerInnen. Doch Sozialgeld erhalten heute nur noch diejenigen, die nicht erwerbsfähig sind. 90 Prozent der Erwerbslosen leben von ALG II. Sie sollen jetzt die Bücher ihrer Kinder selbst finanzieren – wenn die Kommunen nicht einspringen. Auch von den Fahrtkosten für die Anfahrt zur Schule werden Hartz-IV-Familien nicht befreit. Von staatlicher Unterstützung leben in NRW etwa 350.000 Kinder.

Der NRW-Städtetag ist empört. Denn die hoch verschuldeten Städte hätten nicht die Freiheit, ohne Unterstützung des Landes ALG-II-Haushalte von Lernmitteln zu befreien, sagt ihr Bildungsreferent Klaus Hebborn: „Wenn die Stadt Oberhausen entscheidet, wir wollen Schulbücher für alle Arbeitslosen zahlen, kommt die Bezirksregierung und sagt: Ihr habt kein Geld, lasst das mal schön bleiben.“ Mit einem solchen Gesetz verstoße die Landesregierung gegen die Prinzipien der Chancengleichheit, so Hebborn. Von einem „ungeheuren Vertrauensmissbrauch und skandalösen Wortbruch“ spricht die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion und frühere Bildungsministerin Ute Schäfer. Ihre Nachfolgerin hätte sich im vergangenen August noch ganz anders geäußert.

Dagegen lehnen der Landkreistag NRW und der Städte- und Gemeindebund NRW eine Befreiung der ALG-II-Empfänger vom Eigenanteil an Lernmitteln ab – aber auch sie wollen keine Freiheit für die Kommunen. Denn diese bedeutet immer auch ein weiteres Auseinanderdriften der Lebensstandards in den Städten Nordrhein-Westfalens. NATALIE WIESMANN