: „Mir reicht’s. Ich will. Keine Ahnung was“
TANK Das Bremer Theater leistet sich eine Plattform für junge Theatermacher. Sie eröffnen in diesem Jahr die Spielzeit mit Dario Kösters Produktion: „Wir sind diejenigen“
Romantik war vorgestern? Eine Stimmungslage von alten Leuten, die ihre Jugendträume nicht verdrängen wollen? Quatsch, meinen die Jungen Akteure vom Bremer Theater: Romantik passt ideal zu den kleinen und großen Tragödien, die Jugendliche erleben, deren Verhaltensmuster nicht eingeschliffen sind und deren Möglichkeitssinn nicht ihre Identität dominiert. „Romantik“ ist zum Schlachtruf der aktuellen Stückentwicklung des Ensembles, inklusive Regisseur Dario Köster, geworden.
„Wir sind diejenigen“ ist die Uraufführung betitelt: Sie bietet ein kleines Kompendium zeitgenössischer Romantik-Typen. Wobei Romantik als Ideologie zum Andocken eigener Befindlichkeit fungiert, während man jugendlich verwirrt vor widersprüchlichen Wegweisern an einem konkreten Scheidepunkt steht, hinausgeworfen aus dem behüteten Zustand des Kindseins, hineingefallen in die flirrende Leere von Abi-Stress und Partyglitzer. Dem Ab- folgt schnell der Auf- und dann ein Ausbruch. Reiselustig, ohne Landkarte ins Unbekannte, Suche nach Heimat in einer unbehaglich fremden Welt. Köln, Timbuktu, Hodenhagen, Mars oder Plön steht auf den Pappschildern des universalen Tramperwillens. Hauptsache: weg. Und am Wegesrand erst mal ein wenig Liebe, Solidarität, Freundschaft pflücken.
Wir begegnen Klara, gerade geplatzt ist ihre Denkmonade, darin drehte sich alles um Partys, Tattoos, Intimpiercing, Model-Karriere, Gefallenwollen und Jakob. Den nervt das, er macht Schluss. Und ergibt sich der Anbändelei Lillys, die soeben ihren Lieblingsbruder Karl ins Tramperleben verabschieden musste. Den überfordern seine Weltverbesserungsideale. „Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Delfine retten? Die Piraten wählen? Ökogemüse kaufen? FSJ in Afrika? Medizin studieren? Und dann mach ich nix“, sagt er. Um dann doch den Aufbruch zu wagen: „Mir reicht’s. Ich will was. Keine Ahnung was.“
Erst mal will er Laura, die schon eine reife Romantikerin ist, seit zwei Jahren im Einklang mit sich den Taugenichtsen Eichendorffs nacheifert und durch naturmagische Einfühlung die täglichen Wunder des Werdens feiert. Im Bühnenzentrum bastelt unbeirrt ein junger Guru in elegant geheimnisvoller Stille etwas Symbolisches. Und da in allen Dingen der Romantik zufolge auch ein Lied schlummert, zupft ein Gitarrist ab und an Fernwehmelodien. Ach, welch lustig weltfrohe Gemeinde der gewordenen, werdenden, noch zu überzeugenden Vaganten. Sie wissen, was sie vorerst nicht wollen, nämlich Examen, Festanstellung, Rentenanspruch. Und probieren im jugendlichen Leichtsinn jenseits bürgerlicher Sicherheiten mal so etwas wie Freiheit aus, toben beherzt hinein ins Abenteuer Leben, suchen Antworten auf noch gar nicht gestellte Fragen, erhoffen mehr als das realistisch Scheinende, Gewöhnliche.
Die Jungen Akteure sind aber ehrlich genug, auch einem seit der Romantik verhassten Philister Platz einzuräumen. Sie nennen ihn Jakob, er fragt genervt rhetorisch, ob er ein schlechter Mensch sei, nur weil sein Vater reich ist, er selbst gern Fleisch isst und ihm „ein schönes Haus mit Vorgarten“ als Lebensziel vorschwebt. Darsteller und Regie diffamieren auch diese Position nicht, geben allen vorläufig Recht. Mit Leichtigkeit, Humor, Charme und ein wenig Sozialkritik. Eine dramatische Reise ohne Ziel – als Zustandsbeschreibung: Romantik ist heute. JENS FISCHER
Aufführungen: 11., 13., 14. und 15. 9., jeweils 19 Uhr