: Offene Enden, lose Fäden
SPIELZEIT Die Schwankhalle stellt ihr Jubiläumsprogramm vor. Neben einer Reihe von Eigenproduktionen gibt es Raum für Utopien und Debatten sowie eine neue Preisstruktur
VON JENS FISCHER
Zehn Jahre Schwankhalle. War da was? Stets sprudelten reichlich wahnwitzig tolle Ideen in den Köpfen der Programmmacher, die alle super vernetzt sind mit den Kulturszenen in Bremen und Berlin. Aber was ergibt sich daraus für die Schwankhalle? Wenn Jungs oder Mädchen ihren 10. Geburtstag feiern, sind sie zu zarten, entwicklungsfähigen, aber schon unverwechselbaren Persönlichkeiten herangewachsen. Dem Veranstaltungszentrum aber fehlt immer noch das eigenständige Profil.
So überzeugend vielfach die Gastspiele gerade frisch in der Fachpresse bejubelter Theater- und avancierter Popproduktionen sind, so beeindruckend sich zudem die Künstlergästeliste liest, so enttäuschend häufig scheitern die Eigenproduktionen. Verwirrend wird das Spielplanarrangement auch durch die dazwischen wuchernden Klein- und Kleinstformate. Vielfalt scheint nicht das Konzept zu sein, sondern den Mangel daran ausdrücken. Und dann gehen dem Haus im Jubiläumsjahr auch noch wichtige Kräfte verloren. Unter anderem Geschäftsführerin Nadine Portillo und die künstlerische Leiterin Anja Wedig schwanken nicht mehr mit, weswegen es hinter den Kulissen ein wenig drunter und drüber zugeht.
Die Gemütslage am Buntentorsteinweg wird in der Geburtstagseinladung – trotz festgeschriebener 755.000 Euro an Subventionen pro Jahr bis 2016 – so beschrieben: „Angst als Motor, Visionen als Kraft, Unsicherheit als Potenzial, Scheitern als Möglichkeit.“ Jedenfalls hat der Neugier e. V. als Trägerverein die kaufmännische, betriebliche und künstlerische Geschäftsführung ausgeschrieben, um sich ab der Saison 2014/15 mit neuem Leitungstrio noch mal neu zu erfinden. Die Bewerbungen sollen von einer siebenköpfigen Findungskommission durchforstet werden, der Schwankhallenmitarbeiter angehören, aber auch Theater-Bremen-Intendant Michael Börgerding und Franziska Werner, Leiterin der Sophiensäle Berlin.
Die Interimsspielzeit stellte jetzt Interimschef Dennis Fischer vor als eine Ansammlung noch offenerer Enden und loserer Fäden als bisher üblich. An einem ideal dazu passenden Ort fand die Pressekonferenz statt: Im Alten Saal lädt die Rauminstallation „Havarie“ zur Improvisation ein. Um den Besuchern mehr Aufenthaltsqualität zu bieten, sollten die Künstler Anja Fußbach und Tobias Lange das „Stichwort Kneipe“ bearbeiten. Unter Stühle, Tische und Wände schraubten sie Rollen und erwarten nun von den Besuchern, dass sie Lust haben, das Equipment im Raum spielerisch so zu komponieren, dass sich Wohlfühlen einstellt. Das Künstlerduo hat auch einen Foucault’schen Überbau parat: Es könne Festgelegtes in Variables aufgelöst und zu etwas Selbstbestimmtem gemacht werden. Fußbach: „Unsere Abstraktion einer Kneipe ist auch Ort der Utopien.“ Die sollen in einem aufsteigen beim Anblick der an den Wänden illuminierten Alptraum- und Sehnsuchtsfotos von versifftem Waschbecken, drangsalierten Puppen, entblößten Schamhaaren usw.
Man kann aber auch ganz normal Theater gucken. Mit den Eigenproduktionen möchte Dennis Fischer „das Label Schwankhalle stärken“. Damit geht’s los am 7. November, „Monarch“ (Regie: Kristina Brons) ist dann die erste Premiere der Saison. Porträtiert wird ein moderner Glücksritter, der mit seinem Münzvorrat einen Spielautomaten so lange füttert, bis er dessen Funktionsweise durchschaut – und dann zu einem bundesweiten Feldzug aufbricht, all die baugleichen Modelle zu leeren. Als „schönes Ding zu Weihnachten“ wird die „Wahrheit über Hänsel und Gretel“ angekündigt. Michael Pundts Uraufführung eines Textes von Hans Traxler soll nicht mit Märchenzauber und Lebkuchenhausduft die Festtagslaune anheizen, sondern „brutal, frei ab 16“ ein vorkapitalistisches Wirtschaftsverbrechen aufdecken.
Schwankhallen-Urgestein Carsten Werner, derzeit Bremer Grünen-Sprecher für Bau-, Kultur-, Medienpolitik und Stadtentwicklung, will sich im März 2014 mit dem Dramatiker Falk Richter und der wiederum mit August Strindbergs „Rausch“ auseinandersetzen. „Eine Bremensie ist auch immer schön.“ So kündigte Fischer „Angulus Durus“ an, ein Drehbuch von Sven Regener und Germar Grimsen, das ein Theater werden soll. Handlungsort: Huchting! Zum Saisonfinale wird mit einem Trash-Musical „25 Jahre Mauerfall“ gefeiert: „Hedwig and the Angry Inch“.
Dazu gibt’s Lesungen, Performances, Tanz, Shows, Konzerte, Festivals und: „Er will doch nur streiten – Die Talkshow, wo was rauskommt“. Journalist Axel Brüggemann möchte Bremer vorstellen und frisch, frech, fröhlich, frei in kritische Diskurse verwickeln. Während die Schwankhalle in die Zukunft der Preisgestaltung aufbricht. Da mit den „Zahl so viel du kannst“-Festivals „Theater für alle“ bisher immer alle Kosten gedeckt, Honorare bezahlt werden konnten, geht man jetzt einen Schritt weiter: Für alle Veranstaltungen gelten ab sofort vier frei wählbare Ticketkategorien, um die Autonomie der Besucher, ihre Eigenverantwortung gegenüber der Kunst zu stärken. 20 Euro wird als „Normalpreis“ angeboten, 10 Euro zahlen alle, die sich für ermäßigungsberechtigt halten, Mäzene dürfen 100 Euro hinterlegen, 30 Euro ist der Soli-Preis und für 3 Euro gibt es das Kulturticket – ohne dass man sich dafür als Hartz-IV-Empfänger etc. ausweisen muss. Vorbildlich!