piwik no script img

„Ein Apfel täglich wäre gut“

SCHULOBST Norddeutsche Länder winken beim EU-subventionierten Programm für kostenloses Obst und Gemüse an Schulen ab. Ernährungsexperten fordern, den Zugang zu gesunden Lebensmitteln zu erleichtern

Das Schulobstprogramm

Die EU subventioniert die Versorgung mit Obst und Gemüse an Grundschulen. Den meisten Bundesländern ist das zu teuer und zu bürokratisch.

■ Die Essgewohnheiten von Kindern und Jugendlichen sollen durch Obst und Gemüse verbessert werden.

■ Obst- und Gemüsekonsum soll Übergewicht und Fettleibigkeit entgegenwirken.

■ Alle norddeutschen Bundesländer haben dem Programm eine Absage erteilt. (lka)

VON LENA KAISER

Keines der fünf norddeutschen Bundesländer wird am EU-Schulobstprogramm für eine verbesserte Ernährung von Kindern teilnehmen. Zuletzt hatte sich Hamburg gegen das mit europäischem Geld subventionierte Programm entschieden. Durch kostenloses Obst und Gemüse an Grundschulen sollte es dabei helfen, dem Übergewicht vieler Kinder und Jugendlicher entgegen zu wirken. „Zu bürokratisch und zu teuer“, begründen die Länder ihren Verzicht – die Hälfte der Kosten hätten sie selbst tragen müssen.

Die EU hatte eine Förderung des Programms in Deutschland in Höhe von über 20 Millionen Euro zugesagt. Den eigenen Beitrag zu zahlen, ist den Ländern zu teuer und zu aufwändig: Während für Schleswig-Holstein eine finanzielle Unterstützung „nicht darstellbar“ ist, arbeiten Mecklenburg-Vorpommern, Bremen und Hamburg derzeit an schlankeren Alternativkonzepten.

Als erstes Land im Norden hatte Niedersachsen dem Schulobstprogramm eine Absage erteilt. Nun will man die Versorgung mit Schulobst auf private Füße stellen. Das Land stellt lediglich 40.000 Euro für die Beratung und infrastrukturelle Unterstützung bereit. „Unsere Berechnungen haben ergeben, dass sich die Kosten bei etwa einer Millionen Schülerinnen und Schüler auf 40 Millionen Euro jährlich belaufen würden“, sagt der niedersächsische Landwirtschaftsminister Hans-Heinrich Ehlen (CDU). „Davon hätten wir 2,5 Millionen Euro von der EU bekommen, die restlichen 37,5 Millionen Euro hätte das Land zahlen müssen.“ Das Land hätte dann dafür geradestehen müssen, dass die Abrechnung stimmt und dass nur Schüler bei den kostenlosen Vitaminen zugreifen. Dieser Aufwand sei Ehlen zufolge unverhältnismäßig. Daher setze man darauf, dass die Eltern die Organisation selbst in die Hand nehmen.

Das Argument der bürokratischen Hürden ist indes umstritten: Während der SPD-Europaabgeordnete Bernd Lange unterstellt, es mangele wohl eher an der Bereitschaft zur Kofinanzierung, findet es Ehlen „scheinheilig“, wenn man so tue, als würde Geld verschenkt. Stets werde betont, „dass wir Bürokratie abbauen sollen“, und der Verwaltungsapparat koste wahrscheinlich genau so viel Geld, „wie wir an EU-Zuschüssen bekommen würden“, so Ehlen.

Mit dem Verweis auf die Haushaltslage begründet der Sprecher des Schleswig-Holsteinischen Landwirtschaftsministeriums Christian Seyfert das Nein zu einer finanziellen Unterstützung durch das Land. Diese mache deutlich, „dass das Schulobstprogramm auch auf längere Sicht kein Thema für uns sein wird“.

Dabei wäre das Programm ein wichtiger Schritt hin zu verbesserten Essgewohnheiten, sagt Ernährungsexpertin Mathilde Kersting vom Dortmunder Forschungsinstitut für Kinderernährung. Es würde SchülerInnen frühzeitig nahe bringen, wie man sich gesund ernährt. „Und das, was Kinder in der Schule lernen und woran sie sich gewöhnen, nehmen sie auch mit nach Hause.“ Steigere man den Verzehr von gesunden Lebensmitteln, in denen wenig Kalorien enthalten sind, lasse sich einer Überernährung entgegenwirken und Übergewicht vorbeugen.

Die Ernährung von Kindern sei oftmals mangelhaft. „Kinder essen etwa 50 Prozent weniger Gemüse, als es das von uns empfohlene Konzept der optimalen Mischkost vorsieht – bei Obst sind die Verzehrmengen nur ein wenig besser“, sagt Kersting. Obst und Gemüse sollten auch zuhause bereitstehen. Da das aber nicht immer der Fall sei, könnten Schulen unterstützend eingreifen.

„Kinder essen etwa 50 Prozent weniger Gemüse, als es das Konzept der optimalen Mischkost vorsieht – bei Obst sind die Verzehrmengen nur ein wenig besser“

MATHILDE KERSTING, ERNÄHRUNGSEXPERTIN

Verhältnisprävention lautet das Stichwort – den Zugang leichter und attraktiver machen. Um eine solche Maßnahme handele es sich Kersting zufolge beim Schulobstprogramm. Dass das funktioniere, belege auch eine Trinkwasserstudie des Instituts, bei der in Schulen Wasserspendegeräte aufgestellt wurden. „Durch den freien Zugang zu Trinkwasser haben die Kinder langfristig mehr Wasser und weniger süße Getränke getrunken.“

Auf Beratung zu setzen, sei dagegen wenig effektiv. Denn diese würde ohnehin nur von den interessierte Eltern in Anspruch genommen werden.

Wolle man die Masse der Bevölkerung erreichen, müsse man gesunde Nahrung für alle bereitstellen.

Während das Programm bereits in 18 EU-Staaten umgesetzt wurde, müssen die norddeutschen Grundschüler weiter auf kostenloses Obst und Gemüse warten. Dabei täte laut Kersting schon ein Apfel am Tag den Kindern gut.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen