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Archiv-Artikel

Sometimes pathetic, sometimes pop

MOMENTE DES FREMDSEINS Die Orte folgen dem Begehren: In seinem Film „Saturn Returns“ lässt der in Berlin lebende israelische Regisseur Lior Shamriz seine Bohemehelden in einem authentisch zersplitterten Kreuzkölln agieren

Lucy, extrovertierte Künstlerin irgendwie, und ihr schwuler bester Freund Derek leben ihren Postpunkhedonismus aus

VON DETLEF KUHLBRODT

In den letzten Jahren gab’s viel Kreuzberg, Neukölln bzw. „Kreuzkölln“ als Spiel- oder als Dokumentarfilm. Es hatte wohl mit Detlev Bucks „Knallhart“ begonnen. Vor zwei Jahren „Prinzessinnenbad“ und „Erster Mai“, letztes Jahr „Kreuzkölln“ und das ARD-Dramolett „Zivilcourage“ mit Götz George, in dem Kreuzberg so wirkte wie die Kulisse seiner selbst; in diesem Jahr „Neukölln Unlimited“.

„Saturn Returns“, der zweite längere, dreisprachige Spielfilm des in Kreuzberg lebenden israelischen Regisseurs Lior Shamriz, ist ziemlich anders. In seiner Herangehensweise ist der mit 2.000 Euro in einem halben Jahr gedrehte Film eine implizite Kritik an den Kreuzkölln-Klischees, mit denen andere arbeiten. Während die von der Gegend ausgehen, um sich dann Figuren zu suchen, die in diese Gegend passen, geht Shamriz von seinen in Kreuzberg lebenden bohemistischen Helden aus und lässt sie eine Umgebung finden, die zu ihnen passt.

Lucy (Chloe Griffin) ist eine extrovertierte privilegierte US-Amerikanerin, Künstlerin irgendwie, die ihren Postpunkhedonismus hier auslebt und mit ihrem schwulen besten Freund Derek (Joshua Bogle) durch die Gegend zieht. Irgendwann lernen die beiden Galia (Tal Meiri) kennen. Die Begegnung mit der jungen Israelin verändert die Art, wie sie sich selber und die Umgebung sehen. Nicht so klassisch bildungsromanhaft, also dass ihnen ihr vorheriges Leben nun fassadenhaft und oberflächlich vorkommen würde und sie sich nun für ein sozusagen verantwortlicheres Leben entschieden, oder nur ein bisschen.

Das zersplitterte, fragmentartige Berlin, in dem die Helden agieren, wirkt sehr authentisch, weil die Orte dem Begehren der Helden folgen; weil viele Momente des Fremdseins und der Irritation mit drin sind.

Anfangs, wenn die Helden koksen, endlos über dies und jenes reden, sich ihre Kleider vorführen oder Techno tanzen am Morgen, denkt man an Andy Warhol, später an Godard, aus dessen „Vivre sa vie“ auch zitiert wird. Manchmal sind die Übergänge fließend, wenn die Bilder plötzlich kaleidoskopartig werden, manchmal hart, wenn man gerade noch in Berlin war und dann plötzlich im Wohnzimmer des arbeitslosen Vaters von Galia in Aschkelon, Israel sitzt, der Geburtsstadt von Lior Shamriz.

Alle rauchen die ganze Zeit. Manchmal gibt es Sätze, über die man nachdenkt: dass der Plan, das Stadtschloss wiederaufzubauen, ein migrantenfeindlicher Akt ist, weil er auf eine Zeit rekurriert, in der es kaum Migranten in Berlin gab.

Ein Fan of the Sixties

Alles ist recht ambitioniert, ohne in die arty-Falle zu tappen: Lior Shamriz hat seinen Spielfilm von drei 26- bis 63-minütigen experimentellen „Satellitenfilmen“ begleiten lassen, die im Forum-Expanded-Programm der diesjährigen Berlinale zu sehen waren und teils aus einminütigen Passagen des Mutterfilms bestehen, die auf 63 Minuten ausgedehnt wurden.

Wir trafen uns im „Café Kotti“. Ich hatte noch einen Hangover. Lior Shamriz ist 32 und lebt seit 2006 in Kreuzberg. Er hat eine sehr angenehme Ausstrahlung; ein zurückhaltender junger Regisseur, der den Begriff „Filmemacher“ wegen seiner materialistischen Implikationen sicher gut finden würde. Er ist ein Fan of the Sixties. Wir sprechen über Andy Warhol und Godard, Regisseure, in deren Filmen die Kamera sichtbar ist. In „Saturn Returns“ ist die Kamera präsent, aber unsichtbar. Sie ist da, wenn im Wechsel zwischen improvisierten und vorgeschriebenen Szenen das Gemachte kurz wieder deutlich wird: In dem wunderbaren Rolltreppenrunterrutschstunt, der an der Möckernbrücke gefilmt wurde und Chloe Griffin den Respekt der dort herumhängenden migrantischen Jugendlichen eintrug, in improvisierten und dokumentarischen Passagen sowieso.

Wir sprechen über Migranten und Touristen aus den reichen Ländern, die unterschiedlichen Klassen angehören; über Kreuzberg natürlich – den Kanal finde er toll und die harten Gesichtszüge der Menschen im Winter seien ihm aufgefallen; über den ziemlich tollen Soundtrack des Films, der als Pop beginnt, um klassisch-pathetisch zu enden. Er sagt: „Sometimes I’m pathetic / Sometimes I’m pop / Sometimes I’m just staring at the wall“, und es klingt wie ein Gedicht. Blöd finde er die Frage, was an eigenem Leben mit in dem Film steckt. Einmal, bei einer Diskussion über seinen ersten längeren Film, „Japan, Japan“ (2007), habe er versucht, das zu beantworten – danach nie mehr. „I’m making films – that’s my mask.“

Auf dem Rückweg fällt mir ein, was ich vergessen habe. Vor allem, dass ich keine Frage zu Israel gestellt habe. Und dass ich mir den Titel hatte erklären lassen wollen, dachte ich, als ich in der Kottbusser Straße an Lior Shamriz vorbeifuhr. Ich winkte noch mal, er winkte zurück.

■ Der Film läuft heute und Montag auf dem „Achtung Berlin“-Filmfestival. Infos: www.achtungberlin.de