: „Ich spüre ein Umdenken“
KONGO Martin Kobler, neuer Chef der UN-Blauhelmmission, über seine „aktivere, entschlossenere“ Politik und „null Toleranz“ gegen Gewaltverbrecher
■ Der deutsche Diplomat, 60, leitet seit Mitte August die UN-Mission im Kongo. Er war 2000–03 Kabinettschef von Bundesaußenminister Joschka Fischer, 2010–11 stellvertretender UN-Sonderbeauftragter in Afghanistan und 2011–13 UN-Sonderbeauftragter im Irak.
INTERVIEW DOMINIC JOHNSON UND SIMONE SCHLINDWEIN
taz: Herr Kobler, Sie leiten seit fünf Wochen die größte UN-Mission der Welt. Was ist Ihnen dabei besonders wichtig?
Martin Kobler: Unsere Hauptaufgabe ist der Schutz der Zivilbevölkerung. Hier haben wir Einfluss, um die Werte der UN-Charta durchzusetzen – man kann ruhig radikal sein, wenn es um Kindersoldaten oder sexuelle Gewalt geht. Ich nenne diese Massenvergewaltigungen sexuellen Terrorismus. Es kann hier keine Toleranz geben. Auch und vor allem gegenüber der kongolesischen Armee. Es wird permanent beobachtet und begleitet, da gibt’s kein Vertun. Wer vergewaltigt, muss angeklagt werden.
Vertrauen Sie der Regierung, dass sie das umsetzen kann?
Ich habe einen positiven Eindruck von der Armeeführung, dass es in ihrem Interesse liegt, solchen Dingen nachzugehen. Ich bin zufrieden mit der Bereitschaft der Regierung, die Null-Toleranz-Politik durchzusetzen. Das ist schwierig, weil sie keine Kontrolle über manche Gebiete hat. Aber uns gibt die UN-Resolution 2098 vor, die Staatsgewalt im Osten wieder herzustellen.
Wieso gibt es so viele bewaffnete Gruppen im Ostkongo?
Die Regierung muss mit internationaler Hilfe Bedingungen schaffen, dass sich alle, auch Minderheiten, im Land zu Hause fühlen. Man muss Konfliktursachen bekämpfen, um bewaffneten Gruppen die Legitimation zu entziehen. Das andere ist, bestimmte Verhaltensweisen nicht zu dulden. Der Kongo hat das Recht und die Pflicht, seine Staatsgewalt auszuüben. Das bedeutet aber auch eine aktivere und entschlossenere internationale Politik.
Die UNO ist seit 14 Jahren im Kongo. Was soll anders werden?
Die Monusco ist lebendiger als manche nationale Administration. Doch der zivile Teil ist nicht adäquat im Ostkongo aufgestellt. Ich versuche, einen Hauptteil der zivilen Begleitstrukturen in Goma aufzustellen. Einer meiner Stellvertreter geht nach Goma.
Ist der Kongo Testgebiet für aktiveres UN-Peacekeeping?
Das Mandat ist dasselbe, nur die Instrumente sind verschieden. Das basiert auf der Analyse, dass die Aktivität der UNO nach 14 Jahren die Lage stabilisiert haben kann, aber Kohabitation mit bewaffneten Gruppen weiter besteht. Wichtig ist, die Staatsautorität wiederherzustellen.
Wie gehen Sie da vor?
Die M23 hat Goma angegriffen und wir haben Ernst gemacht mit dem Schutz der Zivilbevölkerung, auf Seiten der Armee. Ich war selbst in Goma, ich war in den Stellungen, ich habe selbst die Raketen gesehen, die auf Goma niedergegangen sind. Jetzt ist Goma außerhalb der Reichweite der Raketen. Allerdings wollen wir eine politische Lösung. Wir wollen ja nicht kämpfen! Wir wollen, dass der Staat Kongo das Gewaltmonopol wieder erhält, in jedem Quadratmeter. Dafür haben wir die militärischen Mittel.
Und jenseits der militärischen Mittel?
Wir arbeiten jetzt daran, mit der Regierung Inseln der Stabilität aufzubauen. Die Idee: Wenn ein Gebiet „befreit“ ist, muss die Regierung – nicht die UNO – den Staat aufbauen. Wir helfen dabei. Das sind sieben Elemente: Staatsanwalt, Richter, Schule, Polizei, Sicherheit, Gesundheit, öffentliche Arbeit. Das Gebiet wird von der kongolesischen Armee mit unserer Hilfe gesichert.
Das hat man schon öfter versucht. Jetzt soll es klappen?
Ich glaube, es wird jetzt gehen. Die UNO im Kongo wurde ja viel wegen ihrer Inaktivität kritisiert. Wir müssen uns da in der Tat selbstkritisch hinterfragen. Ich spüre, dass ein Umdenken stattfindet. Ich bin zuversichtlich. Und wir werden die Zivilbevölkerung entschlossen verteidigen.
Ist die neue Interventionsbrigade FIB mit 3.000 Mann dafür groß genug?
■ Mit 20.519 Soldaten und Polizisten ist die UN-Blauhelmmission in der Demokratischen Republik Kongo (Monusco) die größte der Welt. Seit 14 Jahren stehen Blauhelme im Kongo. Zunächst waren es nur Waffenstillstandsbeobachter, dann kamen Friedenstruppen dazu. Dieses Jahr wurde eine offensive UN-Interventionsbrigade (FIB) gegründet, die aktiv bewaffnete Gruppen bekämpft. Sie trat im August erstmals gegen die M23-Rebellen im Ostkongo in Aktion, zeitgleich zum Amtsantritt des neuen Monusco-Chefs Martin Kobler. 70 Prozent des Ostkongo werden von bewaffneten Gruppen kontrolliert. Insgesamt sind im Kongo rund 2,7 Millionen Menschen auf der Flucht. (D.J.)
Wir haben 19.000 Blauhelme. Das sind relativ viele – und wenige zugleich. Die Frage ist nicht, wie groß die Brigade ist, sondern wie sie mit der Armee zusammenarbeitet. Dass ein UN-Helikopter landet und ein Milizenkommandeur kommt und will den Hubschrauber inspizieren, das darf es nicht geben! Wir haben jetzt Kampfhubschrauber und Artillerie und Drohnen, das gab es bislang nicht. Ein Drittel der FIB-Truppen fehlen noch und die Drohnen sind auch noch nicht da. Aber dann sind wir komplett.
Welche Druckmittel auf Kongos Regierung haben Sie, damit sie ihren Teil beiträgt?
Die Kraft des Wortes der internationalen Gemeinschaft und die fünf Sonderbeauftragten. Ich finde es aber bedauerlich, dass Deutschland und EU sich aus dem Bereich der Sicherheitssektorreform herausziehen wollen. Das ist ein falsches Signal. Die Reform des Sicherheitssektors hat absolute Priorität. Man muss kongolesische Eingreiftruppen aufbauen, die nach internationalen Menschenrechtsstandards vorgehen. Ich hoffe, dass die EU ihre Entscheidung revidiert.
Was sagen Sie zur Kritik mancher Kongolesen, die Regierung sei nicht legitim?
Der Kongo ist ein souveräner Staat. Ich bin dagegen, zu warten, bis die nächsten Wahlen stattfinden. Deswegen schlage ich eine Dreierpartnerschaft vor. Zuerst mit den Volk, dem unsere erste Loyalität gilt. Mit der Regierung, der wir helfen, aber die wir auch kritisch begleiten: Wenn es etwas zu kritisieren gibt, zögere ich nicht, es zu tun. Und mit der internationalen Gemeinschaft.
Was heißt „Partnerschaft mit dem Volk“?
Wenn Leute zu einer UN-Basis kommen und Schutz suchen, öffnen wir die Türen. Ich werde darauf achten, dass der Schutz der Bevölkerung ernster genommen wird als wir das vielleicht in den letzten 14 Jahren getan haben.