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Archiv-Artikel

Erden und Abheben!

Wie man sich gleichzeitig immobilisiert und inter-nationalisiert, zeigt der Film „Der Bootgott vom Segelsportclub“

Der Regisseur Robert Bramkamp und die Künstlerin Susanne Weirich haben das Problem des Widerspruchs zwischen Lokalismus und Globalisierung noch einmal in Angriff genommen. Dieses Problem drängt sich auf, es zeigt sich vor allem an der derzeitigen Auflösung der Volkswirtschaften, dadurch, dass die Betriebswirtschaften sich transnational verflüchtigen, während Staat und Nation ans Territorium gefesselt sind und ihnen so nichts anderes übrig bleibt, als ebenfalls betriebswirtschaftlich zu agieren – einmal, indem sie ihr „Tafelsilber“ (die Infrastruktur) verscherbeln, und zum anderen, in dem sie bis runter zu den Regionen und Gemeinden eine absurd konkurrente „Standortpolitik“ betreiben. Das Vergesellschaftungs-Problem bleibt: Wie kann man sich immobilisieren (verankern) und gleichzeitig Welt erfahren (internationalisieren)?

Für Bramkamp/Weirich begann die Beantwortung dieser Frage zunächst mit Ausflügen über Land. Einmal stießen sie auf halber Strecke nach Frankfurt (Oder) auf einen See, an dem Dichter und Intellektuelle kurten. Heute haben sich dort – am Scharmützelsee bei Bad Saarow – die Neureichen aus Berlin mit Golf- und Tennisanlagen eingepflanzt. Aber am Seeende gibt es noch laut Bundeskulturstiftung den alten „sozialen Mikrokosmos ‚Seesportclub Wendisch-Rietz‘“, wo man auf zweimastigen, noch immer nicht vom Westen offiziell anerkannten DDR-„Kuttern“ seinen Segelschein machen kann. Dies taten die Berliner Freiberufler. Damit hatten sie sich dort schon mal freizeitmäßig verankert. Aber dann kamen sie auch noch mit einem Filmteam an und drehten mit dem sich bereits leicht zur Agonie neigenden Verein und seinen Aktivisten eine Dokufiktion, die sich nun im Internet fortsetzt, wobei der Film wie die Exposition für das Internet-Projekt wirkt.

Im Film fungiert als ABM-Kraft vor Ort und gleichzeitiger sumerischer Schöpfergott Enki, den man quasi in die Scharmützelsee-Topografie projiziert hat, der Schauspieler Schortie Scheumann. Die Lexika zählen Enki zu den halb-anthropomorphen „chtonischen Unterweltgöttern“, dessen Unterleib in ein Boot ausläuft. Er gilt als „Kulturbringer“, weiter heißt es über ihn: „All die verschiedenen Aspekte der von ihm eingesetzten Stadtgötter sind in Enki selbst vereint“, konkret und für den Scharmützelsee bedeutet dies: Er disponiert dort eine wachsende Zahl von „Me“s – und diese wiederum äußern sich, wenn in Funktion, in bestimmten „Fähigkeiten“, die kommuniziert werden, u. a. im Netz. Es handelt sich bei dem Ganzen um ein „Erzählprojekt“– und damit um Kunst. Im Gegensatz zu vielen Internetideen ist es jedoch primär-geerdet – und muss nicht erst über seine Warenform um reale Anerkennung bzw. Clicks ringen.

Zur Premiere des Films „Der Bootgott vom Segelsportclub“ in Duisburg gab es einen Shuttleservice des Vereins. Ins Internet verlängert sich das Projekt nun zum einen mit weiteren „Lokalismen“ (wie die ortsansässigen Fischer, ein Honda-Händler aus der Umgebung, der die Bootsmotoren des Vereins wartet sowie die Klosterbrauerei in Neuzelle mit ihrer Biersorte Enki).

Da es Bramkamp/Weirich um „möglichst unterschiedliche Erzählperspektiven“ geht, kommt dazu noch eine wachsende Zahl von „Internationalismen“ ins Spiel: Auf Mesopotamien spezialisierte Archäologen und verschiedene Künstlergruppen etwa. Das Projekt „Enki100.Net“ ist nach oben hin offen, nach unten fokussiert es die virtuellen Kräfte jedoch, das ihrige zum Erhalt und Ausbau des Soziotops Seesportclub e.V. beizutragen. Das reicht vom Sponsoring (Klosterbrauerei) über „den besten Büchertisch“ (b-books), die individuelle Vereinsmitgliedschaft und die Wasseranalyse eines limnologischen Instituts bis zum gemeinsamen Kampf gegen das Röhrichtschutzgesetz. All diese Netzteilnehmer figurieren als „Me“s im Internet und sind durchnummeriert, wobei ihre Identifikationszahlen sich auch noch mal als Pappschilder in den Sumpf- und Schilf-Rändern des Scharmützelsees wiederfinden, wodurch sie sich gleichsam um das Vereinsheim herum (optisch) verorten.

Einerseits wird der Seesportclub dadurch an die Welt angeschlossen, die er mit dem Ende der DDR scheinbar verloren hatte, und andererseits wird damit die Welt (oder das, was sich dafür ausgibt) am Scharmützelsee gleichsam geerdet. Dadurch soll das vermieden werden, was schon Herbert Achternbusch einst beklagte: „Da wo früher Weilheim und Passau war, ist jetzt Welt … Die Welt hat uns vernichtet, das kann man sagen.“

In Berlin stößt man auf Schritt und Tritt auf solche schwarzen Löcher – durch Welt liquidierte Orte, aber auch auf solche, die aufgrund eines fehlenden oder weggefallenen Weltanschlusses in Agonie versinken. Das „Weltniveau“ ist eine Frage des Kapitaleinsatzes (als scheues Reh bzw. gefräßige Heuschrecke), beim Erzählprojekt „Seesportclub“ kommt im Gegensatz zum Recreation Center Bad Saarow vor allem symbolisches Kapital zum Einsatz. Die Teilnehmer sind optimistisch. HELMUT HÖGE