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Archiv-Artikel

Frisch, billig und giftig

Die deutschen Lebensmittelkontrollen sind mangelhaft, meint Greenpeace. Dabei seien viele Früchte und Gemüse mit richtigen Giftcocktails belastet

VON HANNA GERSMANN

So günstig gibt es Vitamine anderswo selten: Eine Tüte Karotten kostet 79, ein Kilo Äpfel 99 Cent. „Deutschland hat den billigsten Lebensmittelmarkt in Europa“, sagte Manfred Krautter von Greenpeace gestern. Dafür mangle es „signifikant an der Qualität“. In jedem zweiten Obst und Gemüse steckten zahlreiche Ackergifte. „Die Belastungen steigen von Jahr zu Jahr“, so Krautter. Verantwortlich aus seiner Sicht: „die miserable Lebensmittelkontrolle“.

Experten klagen seit langem, dass es mit der Lebensmittelüberwachung nicht zum Besten steht. Dafür sind in Deutschland die Länder verantwortlich. Greenpeace hat nun zum ersten Mal die staatlichen Kontrolleure für Trauben, Karotten und Äpfel selbst genauer kontrolliert. Fazit: Kein Land kommt über ein „ausreichend“ hinaus.

Eigentlich sollen Aufpasser durch Super- und Großmärkte sowie über Wochenmärkte laufen und Proben nehmen. Im Idealfall, erklärt Krautter, bekäme „jeder Betrieb einmal im Jahr Besuch“. Mit Gift belastete Tomaten oder Paprika müssten sofort aus dem Verkehr gezogen werden. Doch die Praxis sieht fauler aus.

In Baden Württemberg oder Rheinland-Pfalz werden in einem Jahr gerade mal ein Drittel aller Händler überprüft. In Thüringen erfassen die Prüfer zwar gut 70 Prozent aller Betriebe, entdecken aber nur in 0,6 Prozent aller Fälle Belastungen. „Das ist eindeutig zu wenig“, meint Krautter. Schließlich sei unwahrscheinlich, dass das Gemüse in Erfurt so viel besser sei als in Stuttgart. In Baden-Württemberg werden in 15 Prozent aller Proben zu hohe Rückstände von Spritzmitteln gegen Insekten oder Schimmelpilze gefunden.

Für Krautter steht fest: „Die Behörden kontrollieren zu selten und zu schlampig.“ Sie müssten effektiver werden. Hans-Hermann Viedt vom Bundesverband der Lebensmittelkontrolleure will davon freilich nichts wissen. Dabei fordert er nicht mal mehr Geld. Niedersachsen zahle pro Einwohner für die Lebensmittelüberwachung drei Euro pro Jahr. „Das reicht“, sagt Viedt. Alles was er sich wünscht, ist eine bessere Zusammenarbeit der einzelnen Ämter und eine Hilfstruppe, die einspringt, wenn es gerade einen akuten Skandal gibt.

Doch ein Problem ist offensichtlich: Die Analysen in den staatlichen Laboren dauern einige Wochen – zu lange. Liegt das amtliche Ergebnis vor, ist die Ware schon gegessen. Einen Verkaufsstopp müssen Edeka, Tengelmann oder Spar dann so wenig fürchten wie einen Imageverlust: Wird die Chemie in den konventionellen Früchten entdeckt, erfährt der Verbraucher nichts Konkretes. Die Behörden nennen den Supermarkt nicht, in denen die bitteren Trauben oder Paprika gefunden wurden – eine deutsche Besonderheit.

In Großbritannien ist das beispielsweise anders. Spüren Lebensmittelanalytiker Reste von Spritzmitteln in einem Blumenkohl auf, veröffentlichen sie auf der Internetseite www.pesticides.gov.uk, in welchem Laden das Gemüse verkauft wurde.

Nicht mehr als Panikmache ist die Giftdebatte für Detlef Groß, den Verbraucherschutzexperten beim Hauptverband des deutschen Einzelhandels: „Im Regelfall gibt es kein Gesundheitsrisiko“, sagt er. Nur die Analysen seien genauer geworden, deshalb finde man auch mehr.

Umweltschützer Krautter hält die Gefahr für unterschätzt. Das Turboobst in deutschen Märkten sei „mit einem richtigen Chemiecocktail belastet“. Von der Blüte bis zur Ernte werde mit verschiedensten Mitteln gespritzt. So fänden sich in Paprika bis zu acht Gifte. Wie diese zusammen wirken, ist unklar.